Blockchain? Dezentralisierung? Smart Contracts? Weshalb dich das was angeht
Ein Satellit soll durch die Schweiz reisen und wir alle sollen ihm dabei helfen. Die Begegnung mit ihm schafft Aufmerksamkeit für drängende Fragen: Wie wollen wir als Gesellschaft mit Entwicklungen umgehen, die uns in Form von technischen Objekten und Algorithmen begegnen und unser Leben fortlaufend verändern? Tsüri.ch hat sich mit den Köpfen hinter diesem Projekt getroffen.
Das Wichtigste in Kürze
- Digitalisierung, Smartness, Krypto - die Begriffe sind in aller Munde.
- Ein Think Thank aus Zürich will über die Entwicklungen der Zukunft aufklären.
In einem alten Archivraum einer ehemaligen Bank steht neben einem verschlossenen Tresor ein Ding auf einem Tisch, das Erklärung benötigt. Es glitzert golden, surrt und piepst in einem eigenen Rhythmus. Das Ding, das wir alle schon bald von Zürich nach Guntershausen, von Paris in die Bretagne, mit Klettergurt und Seil auf das Matterhorn transportieren und vielleicht sogar Geld dafür bekommen könnten, trägt noch keinen Namen. Seine Entwickler nennen es vorerst den «Satelliten», wenn sie von ihm erzählen. Das verrät auch schon etwas über sein Aussehen.
Der Satellit besteht nämlich aus einer Schachtel in Form eines sechseckigen Prismas und ist mit goldene Folie eingepackt. Auf zwei Seiten erstreckt sich jeweils ein Flügel. Sie werden den Satelliten zwar später nicht in die Luft oder gar ins Weltall befördern können, werden ihn aber mit Strom versorgen, denn bei den Flügeln handelt es sich um Solarmodule. Ausgestattet mit einem Tragegriff ist der Satellit portabel und das ist nötig, denn der Satellit soll eine Reise durch die Schweiz, durch Europa und vielleicht ja sogar durch die Welt antreten, in dem er von uns allen mitgenommen wird und uns damit auch gleich mit wichtigen Entwicklungen der technologischen Welt konfrontiert: Smart Contracts, Blockchain und Dezentralisierung.
Dezentralisierung geht uns alle etwas an - verschlafen wir es nicht
Noch gehören diese Begriffe einer Sprache an, die viele von uns nicht sprechen, und der Zugang zu diesen Konzepten mag auch vielen schwerfallen. Mit dem Satelliten schaffen die Gründer vom Dezentrum einen Kontakt dazu. Flurin Hess, Mitbegründer des Dezentrums, erklärt: «Mit dem Satelliten wollen wir physische Interaktionspunkte schaffen und den Leuten die Möglichkeiten geben, mit einem Smart Contract zu interagieren, um so etwas mal zu erleben.» Die fünf jungen Menschen des neu gegründeten Think-Tanks sind Lukas Hess, Ozan Polat, Flurin Hess, David Simon und Marco Ehrenmann (in derselben Reihenfolge wie auf dem Titelbild, ohne Marco Ehrenmann).
Die Gruppe kommt aus den verschiedensten Gebieten: Informatik, Wirtschaft, Musik, Medienkunst, Organisationspsychologie und Design. Sie haben sich auf die Fahne geschrieben, einen Diskurs anzuregen, der für alle verständlich und offen ist. «Als Think-Tank wollen wir bewirken, dass der Diskurs um neue Technologien nicht nur von Finanzbranche, von rechtlicher Seite und vor allem von technologischer Seite geprägt werden, sondern auch von den Künsten, den Sozialwissenschaften und von allen, die eben auch von dieser Technologie betroffen sind», erklärt David. Flurin ergänzt: «Wir wollen nicht einfach ein weiterer Club sein, in welchem nur in Programmiersprache mit den Leuten gesprochen wird.» Die beiden erklären, dass nach einer Welle der Digitalisierung eine zweite zu kommen scheint, die der Dezentralisierung. Das könne Chance und Gefahr zugleich sein und deshalb sei eine frühe Auseinandersetzung und damit auch Voraussicht essentiell. Man will bestimmten Fragen zuvorkommen oder, besser gesagt, die Auseinandersetzung damit in unserer Gesellschaft auf den aktuellen Stand bringen.
Körper und Geist des Satelliten
Allein der reisende Körper des Satelliten macht diese visuelle und eben auch haptische Begegnung mit den für uns komplizierten technischen Konzepten aber noch nicht aus. Aus dem portablen Ding, wie das auch ein Koffer, eine Gabel oder ein toter Körper sein können, wird eine Entität oder ein Wesen geschaffen. Zentral dabei ist der Smart Contract. Er verleiht sozusagen dem Satelliten einen Geist, um bei der Metapher zu bleiben.
Ein Smart Contract ist ein Code, dem Entscheidungen auf bestimmte Ereignisse einprogrammiert sind. Wie diese Entscheidungen aussehen, entscheiden die Programmierer*innen während ihrer Arbeit. Wenn der Smart Contract des Satelliten aber einmal von seinen Schöpfern in die Blockchain hochgeladen sein wird, ist der Code verschlossen und der Satellit autonom. Er unterscheidet sich insofern von einem Roboter, dass er keine physische Aktion unternehmen kann, die ihn zum Beispiel fortbewegt. Er kommt also auf seiner Reise nur so weit, wie ihn Leute mittragen und sich auf das Experiment einlassen, wenn sie ihm begegnen. Es ist sogar die Idee, dass der Satellit Leute dafür bezahlt, ihn von A nach B zu transportieren.
Je mehr, desto besser: Dezentral und Blockchain
Wie sind jetzt Geist und Körper des Satelliten, also Smart Contract und die mit Elektronik gefüllte Hülle miteinander verbunden? Und wie tritt dieses Ding jetzt mit uns allen in Kontakt? Über ein Display auf dem goldigen Körper kann jeder und jede in die Kommunikation mit dem Satelliten einsteigen. Dadurch erfährt man, was er kann, was er von einem will und auch, was er zu bieten hat, denn unter anderem sammelt der Smart Contract via Crowdfunding Kryptowährung, wodurch der Satellit handlungsfähig wird. Unabhängig von seiner Hülle ist das Programm in vielfacher Ausführung auf der ganzen Welt verstreut: Des Satelliten Geistes gibt es nicht nur einmal, sondern in vielfacher Kopie. Ein einzelnes Original kann aber unter ihnen nicht bestimmt werden. Darunter versteht man dezentral organisiert.
Wenn die Software nun nicht mehr nur auf einem Computer, sondern auf vielen verschiedenen läuft und diese verschiedenen Kopien des Codes immer miteinander verglichen werden, sind wir beim Prinzip von Blockchain angekommen. Das heisst, man kann darauf vertrauen, dass es einerseits immer weitergeht, wenn mal ein Rechner ausfällt. Und andererseits kann der Code oder auch die Datenbank, auf der beispielsweise vermerkt ist, wie viel Kryptogeld auf einem Konto ist, nicht manipuliert werden. Denn dazu müsste man nämlich die Codes oder Listen auf jedem Gerät einzelnen manipulieren, was fast unmöglich erscheint.
Im ständigen Kontakt
Der bewegliche Körper und der vielfach kopierte Geist unseres Satelliten stehen in ständigem Kontakt. So können beispielsweise Koordinaten oder Batteriestand als Informationen erfasst und analysiert werden. Wird die Hülle zerstört, lebt sein Geist weiter. Und der Smart Contract wäre fähig, die Produktion einer oder sogar mehrere neuen Hüllen in Auftrag zu geben – mit dem nötigen Geld wurde er ja ausgestattet. David macht dazu ein Beispiel: «Wenn man ihn zum Beispiel in den See wirft, wird er sinken und nicht mehr hochkommen. Aber die Entität, die dahinter steckt, die geht nicht verloren. Und die sagt dann vielleicht: ‘Ja gut, jetzt hatte ich drei Tage keinen Kontakt zu meiner Hülle und gebe eine neue in Auftrag.’».
Diskutieren, bevor es brenzlig wird
In diesem Satelliten kommen nun einige technologische Funktionsweisen zusammen, die man über das Mitmachen am Projekt begreifen kann. Gleichzeitig wirft es Fragen auf, die beängstigend sein können. Was, beispielsweise, wenn der Satellit eine Entscheidung trifft, die rechtliche Grenzen überschreitet oder eine versprochene Zahlung an eine*n Träger*in nicht tätigt? Wer ist dann zur Rechenschaft zu ziehen? Darauf gibt es noch keine Antworten. Gerade deshalb sei es wichtig, solche Antworten auch zu forcieren, bevor es brenzlig wird: «Mit unseren Projekten schaffen wir auch rechtliche Präzedenzfälle», sind sich die Gründer des Dezentrums sicher. Eine andere Frage, die aufgeworfen wird, ist die Verantwortung, welche Personen haben, die solche Smart Contracts programmieren. Denn die Automatismen werden dem Smart Contract vorgegeben.
Wie viel Transparenz braucht es, damit wir wissen, wie eine Softwareumgebung mit uns interagiert? Diese Aspekte beschäftigen auch Flurin: «Es gibt am Ende der Kette ja einen Programmierer oder eine Programmiererin, der oder die den Code schreibt. Und was mir Sorgen macht – und ich glaube, da darf man schon Sorge sagen – wäre ein Szenario, bei welchem diesen Menschen das alles überlassen wird und kein Diskurs stattfindet, wie man solche Dinge regeln will.» Genau an diesem Punkt setzt das Dezentrum als Think-Tankauch an. Dystopie-Gedanken, Ängsten und Skepsis könne man einerseits mit Projekten begegnen, die die Prozesse rund um Maschinen und Algorithmen veranschaulichen: «Wir müssen es den Leuten zeigen, sie an die Dinge heranführen», meint David. Andererseits habe das Dezentrum auch nicht den Anspruch, die eine Lösung zu haben, wie die Zukunft aussehen soll, aber gerade das sei ein Grund, den Diskurs endlich öffentlich auszutragen, sodass alle mitreden können. Sie verstehen sich also nicht nur als Gruppe, die Aufklärungsarbeit leistet, sondern auch als Gruppe, die zusammen mit Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Programmierer*innen, Ethiker*innen und vielen weiteren Personen neue Projekte entwickelt, um rund um das Thema Dezentralisierung Diskussionen anzuregen.