Für Island ist Glück wichtiger als Wirtschaftswachstum

Michael Bolzli
Michael Bolzli

Grossbritannien,

Das Bruttoinlandsprodukt hält die Premierministerin von Island für veraltet. Sie gewichtet neu das Wohlergehen der Bevölkerung höher.

Katrin Jakobsdottir
Katrin Jakobsdottir führt die neue isländische Regierung an. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Katrín Jakobsdóttir will vom Bruttoinlandsprodukt wegkommen.
  • Island gewichtet neu soziale und Umwelt-Faktoren starker als Wirtschaftswachstum.

Hat das Bruttoinlandsprodukt bald ausgedient? Zumindest in Island verliert das BIP, für viele die wichtigste Wirtschafts-Kennzahl eines Landes, an Stellenwert. Premierministerin Katrín Jakobsdóttir will sich bei der Budget-Planung verstärkt auf Faktoren konzentrieren, die das Wohlergehen der Bevölkerung fördern.

Während einer Rede in der Denkfabrik Chatham House rief sie zu einer Zukunft mit mehr «Wohlergehen und inklusivem Wachstum» auf. Hauptgrund dafür ist die Umweltzerstörung.

Förderung von Sport und Kunst

Doch geht es Jakobsdóttir nicht nur um die Umwelt. «In Island werden mehr Antidepressiva verschrieben als in den benachbarten Ländern.» Man müsse die Depressions-Prävention verstärken, etwa durch die Förderung von Sport und Kunst.

Gletscher
Island hat im Sommer den Gletscher Okjökull beerdigt. - Keystone

Die grüne Politikerin kämpft nicht alleine für mehr Wohlergehen der Bevölkerung. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon und die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern haben sich Jakobsdóttir angeschlossen.

Ardern erklärte Anfang Jahr am WEF: «Wachstum allein macht ein Land nicht gross. Deshalb ist es an der Zeit, die Dinge in den Fokus zu nehmen, die es tun.»

Lohngleichheit gemessen

Die drei Länder haben unterschiedliche Methoden, um das Wohlergehen der Bevölkerung zu messen. In Schottland werden 81 Indikatoren gemessen. Etwa Kindeswohl, Lohngleichheit oder die Qualität öffentlicher Leistungen. In Neuseeland werden 60 Faktoren gemessen, in Island 39.

Lohngleichheit frau mann
Die Lohnungleichheit ist in der Schweiz noch immer gross. - Pixabay

Das BIP wurde 1937 eingeführt, um die Wertschöpfung eines Landes zu messen. Berücksichtigt werden alle im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen. Unbezahlte Arbeit wird nicht berücksichtigt, die Nutzung von kostenlosen Digital-Produkten auch nicht.

Das Bruttoinlandsprodukt steht seither immer wieder in der Kritik. Während einer berühmten Rede 1968 sagt Senator Robert Kennedy: «Es zählt alles ausser dem, was das Leben lebenswert macht.»

«BIP gehört in analoge Welt»

Die Credit Suisse hält das BIP für veraltet. In einer im Vorjahr veröffentlichen Untersuchung schreibt die Grossbank: «Das BIP ist eine Messgrösse, die zur analogen Welt gehört, in der alle Produkte eine physikalische Form haben.»

Das Vorhaben von Jakobsdóttir, Sturgeon und Ardern dürfte auch in anderen Ländern auf Anklang stossen. In Deutschland fragte das Umweltministerium vor zwei Jahren die Bevölkerung, ob sie der Aussage «Statt des Wirtschaftswachstums wird die Lebenszufriedenheit der Menschen zum wichtigsten Ziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik» zustimmen. 67 Prozent sagten Ja.

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