Ex-SP-Präsi: «Solcher 1. Mai-Umzug in Basel muss aufgegeben werden»
Starke Kritik von Ex-SP-Kantonalpräsident Roland Stark am Niedergang des «Tags des Arbeit». Ein 1. Mai-Umzug, wie er stattgefunden hat, müsse aufgegeben werden.
Das Wichtigste in Kürze
- Ex-SP-Kantonalpräsident Roland Stark übt Kritik am Niedergang des «Tags der Arbeit».
- Verwüstungen überschatteten vergangenes Jahr in Basel den 1. Mai-Umzug.
- Dieses Jahr drehte sich alles um den Polizeikessel.
Wenn in Basel der 1. Mai-Umzug vom einem anonymen Block angeführt wird und die verbliebene linke Prominenz hinter ihm mitgeht, dann hat die Strassenkundgebung ihren Sinn verloren. Der frühere SP-Kantonalpräsident Roland Stark übt starke Kritik am Niedergang des «Tags der Arbeit» – und er ist nicht der Einzige. Gefragt sind Perspektiven mit Strahlkraft.
Vergangenes Jahr überschatteten die Verwüstungen des Schwarzen Blocks den 1. Mai-Umzug durch die Stadt die politischen Botschaften und Analysen. Dieses Jahr fokussierte sich die Medienberichterstattung allein auf die Frage, ob es erneut zu Krawall und Sachbeschädigung kommen wird.
Zwar blieben sowohl Krawall wie Sachbeschädigungen vollständig aus – aber die Medien kamen dennoch auf ihre Rechnung, weil die Polizei den Kundgebungszug wenige Augenblicke nach dem Start auf der Höhe der Elisabethenkirche stoppte und die Vorhut, die sie für den Schwarzen Block hielt, stundenlang einkesselte, um Personendaten aufzunehmen.
Der Stosstrupp von 2017
Der präventive Polizeieinsatz unter Einbezug von Helikopter und Wasserwerfer verursachte dem Staat Kosten von 600'000 Franken. Ob taktisch gerechtfertigt oder nicht: Dass die neue Justiz- und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann ihre Ruhe-und-Ordnungs-Politik wie angekündigt verschärft (solange es nicht um gewalttätige Fussball-Fans geht), musste erwartet werden.
Nichts markiert die atmosphärische und organisatorische Metamorphose der «Arbeiter-Manifestation» deutlicher als der 1. Mai-Umzug des Jahres 2017, als sich der düstere links-revolutionäre Schwarze Block als Stosstrupp an die Spitze des Zuges setzte und das musizierende «Sicherheits-Orchester» unter die Arkaden des Kunstmuseums verdrängte, wo es gnädig. Offizieller Grund: Die Blasmusik habe die «Transparente verdeckt», wie ein Bläser gegenüber OnlineReports erklärte.
Weg vom Kanon der Gemeinplätze
Roland Stark, Kantonalpräsident von 1980 bis 1990, früherer Fraktionspräsident und ein Linker durch und durch, diagnostiziert im «veränderten Erscheinungsbild» der Kundgebung eine Veranstaltung im Niedergang, die ihre frühere Strahlkraft komplett verloren hat: «Ein solcher 1. Mai-Umzug muss aufgegeben werden», sagt er zu OnlineReports.
Stattdessen plädiert er für die Reduktion der Kundgebung auf ein Fest auf einem grossen Platz, an dem die Polit-Prominenz Reden hält. Allerdings Reden, die durch analytische Substanz und Schärfe bestechen, Ross und Reiter nennen – und nicht durch den sich jährlich wiederholenden Kanon der Gemeinplätze langweilen.
Desillusioniert nimmt Stark zur Kenntnis, wie die linke Prominenz aus Grossräten, Regierungsräten und Gewerkschaften von der Umzugsspitze und im Umfeld der Rednerpulte verschwunden sind. Dieses Jahr jedenfalls blieben sowohl die drei SP-Regierungsräte Beat Jans, Tanja Soland und Kaspar Sutter wie auch SP-Ständerätin Eva Herzog dem Umzug fern.
Die «Figuren» fehlen
Nicht auszumachen war auch eine markante Führungsfigur wie einst Nationalrat Helmut Hubacher als Sekretär des damaligen Gewerkschaftskartells oder Kurt Walter, der charismatische Präsident des Basler Gewerkschaftsbundes, der für die Organisation, Moderation und Leitung der gesamten Kundgebung verantwortlich war.
Der Umzug vom Messeplatz zum Marktplatz bildete ein pluralistisches Bild zahlreicher Gewerkschaftsektionen, die eigene Transparente mit sich führten und den Ordnungsdienst stellten. Stark: «Die Polizei sah man nicht.
Hingegen war die gewerkschaftliche Basis sichtbar – von den Eisenbahnern über die Trämler und Polizisten bis zu den Metall- und Bauarbeitern, die verschiedene Kulturen abbildeten. Heute fallen die Funktionäre auf. Die Gewerkschaften sind eingeebnet, den Pluralismus gibt es nicht mehr.»
Streit über Inhalte oder die Liste der Rednerinnen begleitete die 1. Mai-Feier immer. Aber in ihren besseren Zeiten boten 6000 bis 8000 Teilnehmende – unterstützt von bundesrätlicher Präsenz wie jene von Ruth Dreifuss – den Eindruck von Kraft und Relevanz.
Dieses Jahr schrumpft der Umzug auf gut tausend Teilnehmende. Der Basler Gewerkschaftsbund «ist tot», sagt Roland Stark. «Es gibt kein Sekretariat und das Präsidium ist seit zwei Jahren vakant.»
Linke von ihrem eigenen Feiertag entfremdet
Im Hintergrund gebe es Streit, sagt Stark und berichtet von einem «Schlichtungsverfahren», das unter Beteiligung des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) im Gange sei. Von OnlineReports um eine Verifizierung gebeten, wich Sprecher Benoît Gaillard aus: «Kantonale Gewerkschaftsbünde organisieren sich selbst, der SGB macht daher grundsätzlich keine Kommentare. In dem Fall können wir lediglich bestätigen, dass ein Reorganisationsprozess zur Zeit läuft.»
Wo einst der lokale Gewerkschafts-Dachverband mit 1. Mai-Abzeichen als «Erkennungszeichen nach aussen» (Stark), prominenter Bekanntmachung der Sprechenden und einer Mai-Vorfeier mit Programm ebenso potente Logistik wie Inhalts-Wirkung bot, steht heute ein «1. Mai-Komitee» mit wenig transparenten Entscheidungsstrukturen: Die breit gefächerte Linke hat sich vor ihrem Feiertag grösstenteils entfremdet.
Ein ehemaliges Basler SP-Regierungsmitglied stellt ernüchtert fest, dass der «Volksfest-Charakter» verloren gegangen ist, obschon in Basel seit zwanzig Jahren eine rotgrüne Mehrheit regiert.
«In den achtziger Jahren war der 1. Mai ein tolles Erlebnis. Heute wollen viele Gewerkschafter mit der sehr dogamischen Entwicklung nichts mehr zu tun haben. Das tut mir weh.»
SP soll zahlen, aber nicht reden
Die Quelle stört sich auch daran, dass die SP einen «wesentlichen Beitrag» an die Feier-Kosten leistete und Naturalleistungen erbrachte – aber nicht einmal angefragt wurde, ob sie einen Redner stellen wolle». Den Grund sieht sie darin, dass der 1. Mai «zunehmend von der Links-Partei Basta und der Gewerkschaft Unia unterwandert» worden sei, während der kantonale Gewerkschaftsbund «nur noch eine Hülle» sei.
Markanten Einfluss gewonnen hat in der Tat die starke und reiche Gewerkschaft Unia. Das ehemalige Regierungsmitglied macht denen auch eine pikante Feststellung: «Es geht um viel Business und Einfluss.» Die Unia dränge auf die Erhaltung des paritätischen Kontrollwesens: Der Vollzug der flankierenden Massnahmen in paritätischen Kommissionen spült viel Geld in die Gewerkschaftskasse.
Kritik an «nostalgische Erinnerungen»
Beobachter wenden ein, dass nostalgische Erinnerungen an die «guten Zeiten» am kriselnden Zustand des 1. Mai nichts ändern. Gaben im analogen Zeitalter wenige Exponenten den Ton an, reden heute viele Interessengruppen mit.
Gepriesen werden «flache Hierarchien», die Zeit der Top-down-Entscheide durch charismatische Figuren sei vorbei. Doch auch die digitalen Kommunikationsmittel konnten bisher nichts zu einer Re-Mobilisierung am Basler 1. Mai beitragen.
Zwar hat auch Steffi Luethi-Brüderlin (72), seit 47 Jahren SP-Mitglied und früherer Fraktionspräsident, wie viele Parteifreunde grosse Mühe mit der neueren Entwicklung des Arbeiter-Festtags: «Es kann ja nicht sein, dass der Schwarze Block das Zepter übernimmt.» Ausserdem findet er «ganz schwach», dass die SP am linken Anlass «nicht präsent» ist. Zu OnlineReports sagte er: «Das muss wieder ändern, sonst kann man ihn abschreiben.»
Ein Anlauf nach den Sommerferien
Der Trompeter im «Sicherheitsorchester» will dennoch nicht resignieren und nach den Sommerferien dafür werben, die 1. Mai-Feier auf neue, kräftige Beine zu stellen. Nach seiner Vorstellung sollen die Voten symbolträchtig wieder auf dem Marktplatz direkt vor dem Rathaus gehalten werden. Ihm schweben auch wahrnehmungsträchtige «flammende Reden» von «Überraschungsgästen» wie dem früheren Schweizer Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner vor.
Ein 1. Mai habe «nur Sinn, wenn er Ausstrahlung hat». Luethi-Brüderlin möchte darum das «farbige Bild» von damals auf die Strasse zurückholen, als «alle Linken, die sich teils spinnefeind waren, an einem Tag zusammenkamen».
Zum Autor: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal OnlineReports.ch publiziert. Autor Peter Knechtli gilt als Pionier des Online-Journalismus. Er gründete OnlineReports vor 25 Jahren. Per 1. Juli gibt er das Unternehmen an zwei jüngere Kräfte weiter (Alessandra Paone und Jan Amsler).