«September 5» ist ein Film über die Macht der Bilder
Der Terroranschlag auf Israels Olympiamannschaft 1972 in München wird im Golden-Globe-nominierten Film «September 5» aus Sicht eines Fernsehteams dargestellt.
Der Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München ist auch ein medienhistorisches Ereignis. Der Film «September 5», der für einen Golden Globe nominiert war, zeigt die Ereignisse aus der Sicht eines anwesenden Fernsehteams. Der Basler Regisseur Tim Fehlbaum spricht über die medienethischen Fragen, die sein Film aufwirft.
Mediengeschichte zu schreiben, war durchaus beabsichtigt. Die Sommerolympiade 1972 in München war die erste auf deutschem Boden seit 1932. Der Gastgeber hoffte, mit sportlichem und medialem Spektakel die bösen Erinnerungen an die Vergangenheit etwas verdrängen zu können. Ein immenser Medienapparat stand dazu bereit, um Bilder des sportlichen Spektakels aus nächster Nähe einzufangen und erstmals mit Hilfe eines Satelliten live in alle Welt zu senden.
Bild des maskierten Terroristen bei Olympia 1972
In Erinnerung geblieben sind diese Olympischen Sommerspiele jedoch vor allem wegen eines Bildes. Jenes eines maskierten Terroristen auf einem Balkon, eingefangen von einer der Fernsehkameras.
Tim Fehlbaum, dessen Film «September 5» am 9. Januar in den Schweizer Kinos anläuft, hat dieses Bild schon immer fasziniert, wie er gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagt. Und mit dem Bild die Geschichte der Geiselnahme israelischer Athleten durch die militante palästinensische Gruppe «Schwarzer September».
Zum Nachdenken anregen
Fehlbaum hat nicht weit vom Schauplatz der Ereignisse die Filmschule absolviert. Nach seinen zwei Filmen – «Hell» (2011) und «Tides» (2021) –, die beide in einer postapokalyptischen Zukunft spielen, wollte er sich mit seinem dritten Film einem historischen Stoff widmen. Wobei, so der 42-jährige Regisseur aus Basel, Vorgehensweisen wie auch Ziele gar nicht so weit auseinanderliegen.
Alle drei Filme seien so inszeniert, als ob sie von einem zufällig anwesenden Kamerateam aufgezeichnet wurden. Und egal, ob er in der Zukunft oder in der Vergangenheit spielt: «Für mich ist ein Film dann gelungen, wenn er etwas über die Gegenwart aussagt – oder zumindest zum Nachdenken über diese anregt.»
Fokussiert auf die Perspektive von Sportjournalisten im ABC-Studio
Mit «September 5» ist ihm letzteres eindeutig gelungen – auch unabhängig von den aktuellen Entwicklungen im Nahostkonflikt. Das liegt hauptsächlich an der Entscheidung Fehlbaums und seines Co-Autoren Moritz Binder, die Geschichte von der Geiselnahme und deren Folgen nicht auf traditionelle Art zu erzählen.
Die beiden wollten gerade nicht die verschiedenen Perspektiven an zahlreichen Schauplätzen zeigen, sondern sie haben sich konsequent auf eine einzige beschränkt: jene einer Gruppe von Sportjournalisten im Fernsehstudio von ABC Sports.
So verzichtet der Film zwar auf spektakuläre Bilder, wie auch auf einen Überblick über die historischen oder politischen Aspekte der Situation. Doch dafür ermöglicht dieser Entscheid einen selten gesehenen Einblick in die technologischen und psychologischen Aspekte fernsehjournalistischer Arbeit während eines aussergewöhnlichen historischen Ereignisses.
5. September 1972: Wendepunkt für Sportübertragungen und Nachrichten
«Der 5. September war ein Wendepunkt in der Mediengeschichte – sogar unabhängig vom Angriff», erklärt Fehlbaum in Hinblick auf die Bedeutung dieses Tages. Da habe es diesen neuartigen technologischen Apparat gegeben, samt neuen Ideen, wie man sportliche Ereignisse noch unmittelbarer und emotionaler vermitteln konnte. Dieser Apparat habe dann von einem Moment auf den anderen umgestellt – von Sport auf News.
«Alles im Film ist aus der Sicht dieser Sportjournalisten erzählt, die politisch nicht unbedingt bewandert waren. Die einen unschuldigen – oder sagen wir unvoreingenommen – Blick auf die Situation hatten. Und die sich dann plötzlich auch mit schwierigen moralischen Fragen konfrontiert sahen.»
Beispielsweise hatten sie die Idee, eine der Studiokameras auf den Balkon zu stellen, um so ein ununterbrochenes Livebild der Häuserfassade zeigen zu können, hinter der sich gerade das Drama der Geiselnahme abspielte. In einer der zentralen Szenen des Films wird über das Risiko diskutiert, dass diese Kamera plötzlich Bilder von Gewalt live in die ganze Welt senden könnte.
Fehlbaum lobt journalistisches Handwerk bei Olympia 1972
Die Filmemacher konnten während ihrer Recherchen auch mit dem Produzenten Geoffrey Mason sprechen, der im Film von John Magaro dargestellt wird. Auf die Frage, ob man damals über die Konsequenzen der jeweiligen Entscheidungen nachgedacht habe, antwortete dieser, dass dafür schlicht die Zeit gefehlt hätte.
Zeit etwa, um zu bedenken, dass die Geiselnehmer über die von ihnen gesendeten Liveaufnahmen vor dem Anrücken der Polizei gewarnt werden könnten. Der Film zeigt all dies, ohne zu werten. Vor allem gelingt es ihm, die Unübersichtlichkeit der Situation und den nie nachlassenden Druck, unter dem die Journalisten standen, direkt aufs Publikum zu übertragen.
«Das war für alle eine ganz neuartige Situation, und ich sehe keinen Grund, kritisch bezüglich ihrer Entscheidungen zu sein», meint Fehlbaum. Sein Respekt für das journalistische Handwerk sei während der Arbeit an seinem Film gewachsen.
Film hebt zentrale Rolle der Technologie bei Olympia 1972 hervor
Er verweist auf die zentrale Rolle der Technik und betont, wie wichtig es ihm war, diese so präsent, plastisch und historisch korrekt wie möglich im Bild zu haben. Dieser Fokus ist eine weitere grosse Stärke des Films, denn er beleuchtet die Bedeutung der Technologie.
Diese ist zwischenzeitlich noch gewachsen. «Heute gibt es zwar das Internet, und alle tragen eine Kamera in der Tasche, aber die Fragen – was zeigt man wann, was nicht, zu welchem Zweck – sind die gleichen wie damals. Der Film macht einen Schritt zurück: dahin wo sie zum ersten Mal wirklich wichtig wurden.»*
*Dieser Text von Dominic Schmid, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.