Coldplay: Vom Britrock zum Boygroup-Sound

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Grossbritannien,

Anfang der 2000er Jahre verzückten Coldplay mit schwermütigen Balladen und sanftem Poprock die Musikwelt. Doch davon hat sich die Gruppe mittlerweile entfernt.

Chris Martin ist mit seiner Band Coldplay seit 25 Jahren im Geschäft. Foto: Stefan Jeremiah/FR171756 AP/dpa
Chris Martin ist mit seiner Band Coldplay seit 25 Jahren im Geschäft. Foto: Stefan Jeremiah/FR171756 AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Das neunte Studioalbum von Coldplay unterlag bis kurz vor der Veröffentlichung allerstrengster Geheimhaltung.

Nur ausgewählte Medienvertreter, die bereit waren, ein umfangreiches und teilweise absurdes Vertragswerk zu unterschreiben, durften «Music Of The Spheres» vorab hören.

Dabei war eine musikalische Überraschung kaum zu erwarten. Zwei schon veröffentlichte Singles geben einen Vorgeschmack: Das britische Quartett, das in diesem Jahr sein 25-jähriges Band-Bestehen feiert, macht jetzt auf Boygroup.

Schon seit den späten 2000ern haben Coldplay, die mittlerweile zu den erfolgreichsten Popgruppen der Welt zählen, ihren Stil zunehmend kommerziell ausgerichtet - weg vom schwermütigen, sanften Indie-Rock hin zum manchmal seichten Radiopop.

Während sie bei spektakulären Konzerten immer grössere Hallen und schliesslich Stadien füllten, beim Glastonbury Festival auftraten, in internationalen Fernsehshows zu Gast waren und ihre Musik für Produktwerbung zur Verfügung stellten, entfernten sich die Briten zunehmend von ihren musikalischen Wurzeln.

BTS und Elektroautos

Auf «Music Of The Spheres» folgen Coldplay dem Dancepop-Trend und landen irgendwo zwischen Dua Lipa, David Guetta und The Weeknd. Das Lied «Higher Power» ist seit Wochen in einem TV-Werbespot für Elektroautos zu hören. Für «My Universe» kollaborierten die Briten mit der angesagten koreanischen Boygroup BTS, die einen weltweiten Hype erlebt.

Über Synthesizer, Samples und Elektrobeats singt der 44-jährige, auch in bunten Klamotten noch recht unscheinbare Chris Martin im Duett mit den sieben durchgestylten Teenie-Idolen. In der ersten Stunde nach Veröffentlichung wurde das Video auf Youtube mehr als 2,5 Millionen Mal aufgerufen. Keine Frage: Der Song ist ein Ohrwurm.

Es ist eine erstaunliche musikalische Wandlung für die Band, die von vier Studenten dem Vernehmen nach 1996 in London gegründet wurde. Sänger und Pianist Chris Martin, Leadgitarrist Jonny Buckland und Bassist Guy Berryman studierten zusammen am University College London. Drummer Will Champion stiess ein Jahr später dazu. Nach zwei EPs wurden Coldplay im Jahr 2000 durch die Hitsingle «Yellow» und ihr Debütalbum «Parachutes» einem breiteren Publikum bekannt.

Ihr hervorragender zweiter Longplayer «A Rush Of Blood To The Head» (2002) machte Coldplay endgültig zu Superstars, zur nächsten britischen Musiksensation. Die ergreifende Klavierballade «The Scientist» ist heute ein Klassiker, genauso wie «In My Place» oder das treibende «Clocks» mit seinem hypnotischen Piano-Riff. Britische Musikmagazine labelten die Musik als Post-Britpop - einige taten sie aber auch als Radiohead für Arme ab. So oder so, Coldplay waren nicht aufzuhalten.

Drei Jahre später legte das Quartett mit «X&Y» sehr erfolgreich nach. Sieht man von «Fix You» ab, kündigte sich da aber schon die Abkehr vom melancholischen Coldplay-Sound an. «Speed Of Sound» wirkte wie eine abgeschwächte Version von «Clocks». «Talk» war etwas rockiger, aber leicht und radiotauglich. Immerhin konnte ihnen nun niemand mehr unterstellen, ein Radiohead-Abklatsch zu sein.

Sehr eingängig, sehr erfolgreich

Die Band sammelte über die Jahre Grammys, Brit Awards und zahlreiche andere Auszeichnungen. Die Mitgröl-Hymne «Viva La Vida» (2008) vom gleichnamigen Album ist bis heute die bestverkaufte Single von Coldplay, erreichte Platz eins in Grossbritannien und den USA. Sehr eingängig, sehr erfolgreich - dieser Trend setzte sich auf den Folgealben fort. Einzige Ausnahme: das für Coldplay-Verhältnisse seltsam experimentelle Doppelalbum «Everyday Life» von 2019.

Viele Coldplay-Fans der ersten Stunde und Musikkritiker zeigten sich hingegen enttäuscht über den mittlerweile austauschbaren Sound. Erst kürzlich kritisierte das Magazin «Rolling Stone», Coldplay hätten «ihre künstlerische Idee, ihr musikalisches Leitbild zugunsten eines planlosen Zusammenquirlens von Popstandards und Performance-Trends vollkommen aufgegeben».

Für «Music Of The Spheres» kollaborierten Coldplay nicht nur mit den koreanischen Superstars BTS, sondern auch mit dem schwedischen Songwriter Max Martin, einem echten Pop-Hitgaranten: Er schrieb unter anderem für die Backstreet Boys («I Want It That Way»), Britney Spears («Oops!... I Did It Again»), Katy Perry («I Kissed A Girl») und Taylor Swift («Shake It Off») einige ihrer grössten Hits.

Gemessen am Erfolg können sich die vier Briten bestätigt fühlen. «My Universe» ist ihr erster Nummer-eins-Hit in den USA seit «Viva La Vida». Und man kann davon ausgehen, dass auch «Music Of The Spheres» Millionen Mal verkauft oder gestreamt wird.

Wer mit der Band und ihrem neuen Stil nicht mehr viel anfangen kann, sollte trotzdem «Coloratura» eine Chance geben. Mit zehn Minuten und 18 Sekunden Laufzeit ist es der längste Song, den Coldplay jemals veröffentlicht haben. Die grossartige, atmosphärische Nummer erinnert entfernt an Pink Floyd. Das ist dann doch noch eine musikalische Überraschung.

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