Erwin-Wurm-Schau in der Albertina Modern lädt zum Mitmachen ein
Die Wiener Albertina Modern zeigt eine grosse Retrospektive zum 70. Geburtstag des Konzeptkünstlers Erwin Wurm.
Die Wiener Albertina Modern widmet dem Konzeptkünstler Erwin Wurm zum 70. Geburtstag eine umfangreiche Retrospektive, die von seinen Anfängen bis ins Heute reicht. So lustvoll das Oeuvre des Österreichers ist, so sehr lädt auch die Ausstellung zum Mitmachen ein. «Erwin Wurm ist zutiefst ein österreichischer, aber gleichzeitig doch global verstandener Künstler», erklärte Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder.
Er streute dem Jubilar bei einer Presseführung am Donnerstag Rosen. Wer hätte sonst wohl Essiggurken oder Würstchen zu Kunstobjekten erhoben? Mit seinen «aus dem österreichischen Biotop» kommenden Werken habe Wurm auf diese Weise «Symbolfiguren für psychische Zustände gefunden», die universal gelesen werden könnten.
«Er ist Konzeptkünstler und Formalist, der gleichzeitig ein soziales, inhaltliches und politisches Anliegen hat. Vor allem aber hat er den Skulpturenbegriff erweitert wie kein Zweiter im 20. Jahrhundert.»
Kunsterfahrung mit vollem Körpereinsatz
Davon kann man sich eingehend ein Bild machen. In den 1980ern formte Wurm noch Holz oder Metall zu abstrakt anmutenden Gebilden, wie «Sitzende» und «Stehende II» bezeugen. Aber spätestens die Staubskulpturen mit ihren Handlungsanleitungen waren ein Vorgeschmack auf das, was ihn ab den 1990ern zum Weltstar machen sollte.
Entsprechend nehmen seine «One Minute Sculptures» auch den grössten Ausstellungsraum ein und locken zur Interaktion. So gilt es, eine Minute auf Tennisbällen zu liegen oder sich mit Putzmitteln abstützend an die Wand zu lehnen.
Ganz neu sind die Werke «As You Like It» und «Think About Samuel», die von Shakespeare und Beckett inspiriert sind. In Pullover schlüpfen oder ein unförmiges Gebilde, aus dem ein Stuhl und ein Tisch ragen, kletternd erklimmen. Bei Wurm gelingt Kunsterfahrung nur mit vollem Körpereinsatz.
Kritische Reflexion über rückständige Lehrmethoden
Erstmals zu sehen ist auch eine Schule, die in Anlehnung an das «Narrow House» ebenfalls gequetscht wurde. «Die Schule drückt einen nach unten», verwies Wurm auf rückständige Erziehungsmethoden und Wissensvermittlung, die er kritisch in den Blick nimmt. Wer sich mit gebücktem Gang in das Gebäude begibt, stösst dort auf Lehrtafeln aus längst vergangenen Tagen, die über die Verarbeitung von Walen oder die Wirkung von Kampfstoffen aufklären.
«All diese Dinge gibt es immer noch zu kaufen», erzählte Wurm von seinen Recherchen. «Hier wurde und wird Wissen vermittelt, das teils faschistische Tendenzen hat und heute längst überholt ist.» Auch das lasse erkennen, dass Schule «einer bestimmten Zeit verpflichtet» sei, so der Künstler.
Die Kombination aus frühen Arbeiten, bekannten Werken und neuen Aspekten soll die Retrospektive für Wurm-Kenner ebenso anziehend machen wie für Menschen, die noch nicht so tief in seinen Kosmos eingetaucht sind, unterstrich Kuratorin Antonia Hoerschelmann. «Alles hängt mit allem zusammen, dieser rote Faden zieht sich durch verschiedene Themenkreise. Das kann man von den 1980ern bis heute erkennen.»
Alltägliche Objekte neu interpretiert
Für einen Schnelldurchlauf ist diese Schau nicht geeignet. Dafür gibt es einfach zu viel zu sehen. Boxen, aus denen Beine ragen, wuchernde oder platt gedrückte Autos, Architekturikonen, die quasi mit dem Vorschlaghammer bearbeitet wurden oder unter der künstlerischen Hitze zerfliessen.
Auf Stelzen schreitende Gedankenblasen, rund zwei Dutzend Gurken auf Podesten oder eng umschlungene Würstchen, die sich innig küssen. Immer wieder schaffte und schafft es Wurm, die Vorstellung von Skulptur zu brechen und neu zu deuten. Wobei die Alltäglichkeit der zur Anwendung kommenden Gegenstände neue Deutungsebenen aufmachen.
«Substitutes»: Gruselige Hüllen mit unheimlichen Formen
Beinahe gruselig wirken wiederum die «Substitutes», die in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind. Teils realistisch anmutende, einfarbige Figuren, die sich auf zweiten Blick als leere (Gewand-)Hüllen offenbaren und nicht selten durch Deformierung unnatürliche Züge annehmen.
Auch der malerische Ausdruck kommt nicht zu kurz. Was neben einigen Zeichnungen auch den «Flat Sculptures» zu verdanken ist, die das Dreidimensionale in die Fläche «rückübersetzen». Dass den Betrachtenden bei mancher Arbeit ein Schmunzeln entkommt, ist verständlich, aber nicht Absicht des Künstlers.