Mexikos Mariachis stecken in Schwierigkeiten. Anti-Corona-Massnahmen entziehen ihnen die Lebensgrundlage. Die Musiker warnen, ein wichtiger Teil mexikanischer Kultur könne verloren gehen - und bieten gegen Spenden Lieder mit persönlicher Widmung an.
Mariachis warten in der Nähe des Garibaldi-Platzes auf Kunden. Foto: Jair Cabrera Torres/
Mariachis warten in der Nähe des Garibaldi-Platzes auf Kunden. Foto: Jair Cabrera Torres/ - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Auf dem Garibaldi-Platz im Zentrum von Mexiko-Stadt ist die Party vorbei.
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Hier war sonst immer die Hölle los.

Trompeten, Geigen und mexikanische Gitarrenvarianten wurden abends wild durcheinander gespielt, Männer in schwarzen Anzügen mit silberfarbenen Verzierungen drängten sich um Touristen. Der Garibaldi-Platz ist als Treffpunkt der Mariachis berühmt. Interpreten der traditionellen Musikrichtung spielten dort in den Kneipen oder davor gegen Bezahlung. Sie konnten auch für Feste oder Trauerfeiern engagiert werden, oder, um einer geliebten Person ein Ständchen zu singen. Wer zahlte, konnte sich aus einem grossen Repertoire mexikanischer Klassiker ein Lied aussuchen.

Die Zeiten sind wegen der Corona-Pandemie nun erstmal vorbei. Man findet noch immer Mariachis auf dem Platz, aber es ist keiner da, um sich ein Lied zu wünschen. Die Musiker versuchen, vorbeifahrende Autos heranzuwinken, diese halten aber nicht an. Ein Mann stimmt seinen Guitarrón genannten Akustik-Bass, andere spazieren langsam und still über den Platz, mit Mundschutz und dem überall auf der Welt als «Sombrero» bekannten Hut. Die Jalousien der Kneipen sind heruntergelassen.

«Nie in meinem Leben habe ich eine so schwierige Situation durchgemacht», sagt Jaime Navarro der Deutschen Presse-Agentur. Mit seinen 54 Jahren arbeite er schon seit 36 Jahren auf dem Garibaldi-Platz, erzählt er. Derzeit bleibe er meist zu Hause, um sich nicht anzustecken. Nach offiziellen Zahlen sind bisher mehr als 6000 Menschen in Mexiko nach einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus gestorben, und die Kurve ist längt noch nicht abgeflacht.

«Es gibt keine Arbeit», sagt Catalina Sánchez, die in einer siebenköpfigen Gruppe singt. «Die Leute gehen nicht raus, also kriegen wir keine Aufträge», betont die 52-Jährige.

Das Fehlen regelmässiger Einnahmen sowie staatlicher Unterstützung hat die Arbeit als Mariachi-Musiker schon immer prekär gemacht. In den vergangenen Jahren lief es aus verschiedenen Gründen für die rund 30 000 Mariachis des Landes schon nicht besonders gut. Das Coronavirus droht nun, ihnen komplett den Garaus zu machen. Ein Grossteil ihrer Arbeit besteht darin, für Gäste in Lokalen zu spielen, und diese haben jetzt zu. Und auch nach Ende der Anti-Corona-Massnahmen dürften die Menschen wegen der wirtschaftlichen Folgen wenig Geld in der Tasche haben.

Rund 400 Mariachis in Mexiko-Stadt haben sich nun zusammengetan, um Hilfe zu suchen. Zusammen mit einem Sohn von Navarro, der in einer Sozialorganisation mitarbeitet, gründeten sie die Initiative «Salvemos al Mariachi» (Lasst uns den Mariachi retten) und starteten eine Crowdfunding-Kampagne. Wer mindestens 149 Peso (knapp sechs Euro) spendet, bekommt ein Video eines von Mariachis gespielten Liedes samt persönlicher Widmung für sich oder als Geschenk - je mehr Geld man gibt, umso mehr Lieder kommen zurück. Es gibt auch Gutscheine für reale Auftritte - wenn das wieder möglich ist.

«Es ist paradox, dass die Mariachis eines der wichtigsten kulturellen Mittel der mexikanischen Diplomatie sind, der Staat ihnen aber nicht vergütet, was sie leisten», meint Aurélien Guilabert. Der junge Franzose lebt in Mexiko und ist ebenfalls in das Projekt «Salvemos al Mariachi» - zu dem auch Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien gehört - eingebunden.

Die Mariachi-Musik hat ihre Wurzeln in den indigenen Gemeinden sowie bei den «Charros» - eine Art mexikanische Cowboys - in ländlichen Gegenden im Westen des nordamerikanischen Landes. Ab den 1930er Jahren etablierte sie sich landesweit über Schallplatten, Radio und Kino als fundamentales Element der mexikanischen Kultur. Als solches erklärte die Unesco sie 2011 zum Immateriellen Kulturerbe. Längst vereint die Mariachi-Musik verschiedene musikalische Traditionen Mexikos und verbreitet sie auch im Ausland.

«Es gibt heute Mariachis auf der ganzen Welt: in Japan, in den USA, in Europa, in Südamerika», erzählt der Direktor von Mexikos Nationalphonothek, Pável Granados. «Gleichzeitig kommt seit einigen Jahren kaum noch Unterstützung von der Musikindustrie.» Es fehle an Förderung sowie an Nachfolgern der alternden Stars des Genres.

Die Sängerin Sánchez geht seit ein paar Wochen nicht mehr zum Garibaldi-Platz. Es lohnt sich für sie einfach nicht mehr. Sie mietete zuvor ein Zimmer in der Nähe, um sich dort umziehen zu können und nicht spät nachts noch nach Hause an den Stadtrand fahren zu müssen. Das kostet.

Sie sei den jungen Leuten, die nicht nur Geld-, sondern auch Lebensmittelspenden organisierten, sehr dankbar für die Hilfe. Was die Zukunft angeht, überlege sie, sich eine andere Arbeit zu suchen, um über die Runden kommen zu können. Sie liebe aber ihren Beruf, dieser habe schliesslich in ihrer Familie Tradition. «Mein Papa war Mariachi, und mein Opa war auch Musiker», sagt Sánchez. «Vielleicht mag ich es deshalb so sehr.»

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