«Tea Time» mit Folgen - Ingrid Noll nimmt Spleens aufs Korn

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Deutschland,

Sind wir nicht alle ein bisschen verrückt? Krimiautorin Ingrid Noll sagt ganz klar «Ja». Doch die Figuren in ihrem neuen Werk «Tea Time» sind nicht nur komisch, sondern auch skrupellos.

Ingrid Noll
Die erfolgreiche Krimiautorin erhielt das Bundesverdienstkreuz für ihr bürgerschaftliches Engagement. (Archivbild) - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Wackeln Sie mit den Ohren, lesen Sie Kaffeesatz, züchten Sie daheim Schlangen und sind Sie obendrein noch weiblich, dann hätten Sie gute Chancen, in den Club der Spinnerinnen aufgenommen zu werden.

Diese Runde verschrobener junger Frauen steht im Mittelpunkt von «Tea Time», dem 17. Roman von Deutschlands renommierter Krimi-Lady Ingrid Noll. Auch mit 87 Jahren ist sie ungebrochen produktiv. Die Bestseller-Autorin, deren Werk in 28 Sprachen übersetzt ist, webt in ihr Netz skurriler Charaktere vor allem Frauen, die alleinstehend sind oder mit ihren Partnern nichts mehr zu tun haben wollen.

Ihre Geschichte wird aus Sicht der Apothekenhelferin Nina erzählt, die wegen eines Kindheitstraumas nur schlafen kann, wenn sie in ihrer Decke wie in einem Kokon fest eingewickelt ist. Ihr ungewöhnliches Hobby: mit «Arm-Kräutlein-Fotos» Pflanzen, die gemeinhin als Unkräuter gelten, «ihre Würde wiedergeben». Nicht weniger spleenig ist ihre Freundin, die Schulsekretärin Franzi, der unordentliche Teppichfransen ein Graus sind, dem Sie mit Kämmen zu Leibe rücken muss. Über Franzi, die übrigens ihre Marotte auf ihren Vornamen schiebt, stossen zwei Lehrerinnen zum «Club der Spinnerinnen». Lehrerin und Voyeurin Corinna und deren Kollegin, die gelenkige Schlangenfrau und Ethiklehrerin Eva, deren Moral sehr locker ist. Die bei der Stadt angestellte Heide, im Nebenjob Feierrednerin, und deren Freundin, die Supermarktkassiererin und Wolkendeuterin Jelena, komplimentieren die schrullige Truppe.

Zirkel mit krimineller Energie

Ein harmloser Frauenstammtisch sollte man denken; doch Noll wäre nicht Meisterin des subtilen Verbrechens, wenn sich nicht langsam herausstellen würde, dass die Frauen erhebliche kriminelle Energie entwickeln und vor Gesetzesverstössen nicht zurückschrecken. Auf das Konto der Spinnerinnen geht dann auch der ein oder andere Todesfall.

Nolls Interesse an Romangestalten mit Ticks ist nicht neu: «Schon immer interessierten mich Personen, die ein wenig anders ticken, auch in meinen früheren Romanen bevorzugte ich Protagonisten, die nicht ganz in die Norm passen», sagt sie im Interview und fügt hinzu: «Spleens sind Teil unserer Persönlichkeit, manchmal liebenswert, manchmal kurios.» Sie selbst sei vor Macken nicht gefeit. «Zum Beispiel ekle ich mich vor Milch, obwohl ich Käse und Milchprodukte sehr gern esse. Aber man stellt mir beim Kaffeetrinken immer und überall das Milchkännchen direkt vor die Nase, das ich zur Belustigung meiner Mitmenschen mit grosser Entrüstung und einem Aufschrei weit von mir schiebe.»

Das langsame Abgleiten der Gruppe in Gesetzesübertretungen startet mit dem Eindringen in ein von Corinna ausgespähtes Haus. Nina kann dort einer kleinen Elfenbeinfigur nicht widerstehen, Grundlage einer Sammlung gestohlener Kostbarkeiten. Noll stellt den Frauen als Kontrapunkt Andreas Haase gegenüber, ein Name, der ihr die Möglichkeit gibt, ihren Wortwitz unterzubringen: Da ist «der Hase im Pfeffer begraben», schleichen «Hasenfüsse» und hoppeln «Angsthasen» durch die 320 Seiten des Romans.

Gift als letztes Mittel

Haase ist der Ex-Partner der Wolkeninterpretin Jelena, verkrachter Uhrmacher, alkoholsüchtig, von Hartz IV lebend. Sein schicksalhafter Fehler: Er will sich den Finderlohn für eine von Nina liegen gelassene Handtasche mit sexuellen Gefälligkeiten bezahlen lassen. Dagegen wehrt sich Nina so vehement, dass Haase zu Boden geht. Weitere Begegnungen Haases mit Nina und ihrer Freundin Franzi eskalieren. Schliesslich sehen Nina und Franzi keinen anderen Ausweg, als den immer bedrohlicheren Mann endgültig loszuwerden. Die kräuterkundige Nina serviert ihm zur «Tea Time» ein Gebräu, das es in sich hat. Blätter vom Eisenhut sollen ihn ins Jenseits befördern. Wie in anderen Romanen Nolls greifen auch hier die Protagonistinnen zum Gift als letztem Mittel gegen ihren Widersacher.

Gift ist nach Überzeugung Nolls eine typisch weibliche Waffe. Schon immer habe die Krankenpflege mit dem Wissen um heilende und giftige Kräuter weitgehend in weiblicher Hand gelegen. «Und wenn es schliesslich um die Beseitigung eines unliebsamen Mitmenschen ging, liessen sich Frauen aus verständlichen Gründen ungern auf einen Nahkampf ein. Sie mussten sich etwas Schlaueres einfallen lassen, um nicht erwischt zu werden.»

Anziehende Spleens

Neben den sechs Spinnerinnen weitet Noll den Blick auf andere sonderbare Figuren. Da ist Ninas Hausmitbewohner Yves, der als Mitwisser und Helfer in den tödlich endenden Streit mit Haase hineingezogen wird. Zwischen Nina und dem schrulligen Nerd entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung, die auch durch denselben Spleen eines bestimmten Einschlafrituals gestärkt wird.

Nolls Roman ist der erste, der explizit in ihrer baden-württembergischen Heimstadt Weinheim spielt. So wohnen Nina und ihre Freundin in einem Fachwerkhaus am Marktplatz, der Garten des Hermannshofs bietet Nina Motive für ihre Pflanzenfotografie. Und ein Club-Ausflug führt zu einem Geheimgang unter der über Weinheim thronenden Burg Windeck. Noll kommt damit der Anregung ihrer Mitbürger nach, «dass unser friedliches Städtchen einmal zum Zentrum eines Verbrechens werden sollte – aber nur in der Theorie!»

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