Zeitlos glücklich? - Wofür Uhren heute noch gut sind

DPA
DPA

Italien,

Mit der Digitalisierung rückt die Zeit extrem nah an uns heran, sie leuchtet im Handy und am Backofen. Strassen-Uhren dagegen geraten oft aus dem Blick. In Italiens Hauptstadt Rom gehen massenweise Stadt-Uhren falsch. Werden klassische Uhren überflüssig?

Eine grosse Uhr steht auf der Via Nazionale im historischen Stadtzentrum Roms. Foto: Andrew Medichini/AP/dpa
Eine grosse Uhr steht auf der Via Nazionale im historischen Stadtzentrum Roms. Foto: Andrew Medichini/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Uhren an der zentralen Verkehrsader Via Cavour in Rom haben fast alle einen Tick.

Nicht weit vom Hauptbahnhof Termini stehen dort auf den Bürgersteigen sechs klassische, runde Strassen-Uhren auf hohen Pfosten. Vier davon zeigen stark unterschiedliche Zeiten an, zwei liegen einigermassen richtig.

Berufstätige und Touristen hetzen vorbei, kaum einer nimmt das römische Uhren-Chaos wirklich wahr. Völlig falsche und stehengebliebene Anzeigen sind in Italiens Hauptstadt keine Ausnahme.

Sind Italiener zeitlos glücklich? Oder gilt es nicht nur für Rom, sondern für viele andere Orte in Europa, dass öffentliche Zeitanzeigen und klassische Uhren zunehmend überflüssig werden? Denn die Masse der Menschen nimmt das Handy laufend zur Hand - und dort leuchtet meist als erstes eine elektronische Zeitanzeige entgegen.

Nicht nur deshalb stellt Professor Helmut Prior von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main klar, dass missachtete Standuhren kein Signal der Zeitlosigkeit sind: «Die Zeit ist heute noch deutlich präsenter geworden als eine Generation zuvor», sagt er.

Trotzdem fällt dem Psychologen sofort ein deutsches Beispiel für den Wandel ein: «Früher gab es auch an den Badestränden an den Küsten grosse Uhren. Jetzt stehen dort oft nur noch die Masten, auf denen die Uhren einst befestigt waren.»

Dass diese Gegenstände aus dem öffentlichen Raum verschwinden, dass Zeiger stehen bleiben oder falsche Werte zeigen, bedeute nicht, dass Menschen öfter mal die Zeit vergessen. Im Gegenteil. Sie ist in vielen Fällen sogar näher an uns heran gerückt.

«In meiner Erinnerung haben wir als Kinder früher die Zeit viel öfter einfach mal vergessen als Kinder heute. Wir haben oft lange etwas gemacht, ohne an die Uhr zu denken.» Heute dagegen würden Kinder oft mit einem eng getakteten Terminplan leben - für Chats und Verabredungen mit Freunden.

«Heute ist die Zeit ständig extrem nah bei mir und bei uns», sagt Prior. Auf einer Vielzahl von Geräten wie Handy, Laptop, Backofen und Geschirrspüler in der Küche: «Überall dort läuft eine Uhr.»

Damit haben auch die normalen Armbanduhren starke Konkurrenz bekommen. Trotzdem steht vor dem Schaufenster eines traditionsreichen Uhrladens in Florenz ein junges Paar, Anfang bis Mitte zwanzig. Er zeigt auf ein grosses Modell in der Auslage, beschreibt, was ihm daran gefällt. Drinnen arbeitet Lavinia Bolgi, 29 Jahre und Mitinhaberin des Familienbetriebs Bigalli. Sie ist überzeugt, dass Armbanduhren nie aus der Mode kommen werden.

«Unsere Hauptkundschaft sind Männer zwischen 30 und 70 Jahren. Sie geben viel Geld dafür aus», erzählt sie. Jüngere Käufer zwischen 16 und 30 habe sie auch: «Die mögen Uhren im altmodischen Retro-Look.»

«Mit dem Aufkommen der Smartwatch, die mit dem Internet verbunden ist, und den Fitness-Trackern, die auch die Zeit anzeigen, haben diese Geräte der klassischen Uhr Marktanteile abgenommen», berichtet Guido Grohmann, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband Schmuck und Uhren. «Aber die exakten Zahlen lassen sich schwer nennen. Denn die Geräte werden teilweise bei Elektronik erfasst, teilweise bei Uhren.»

Für ihn ist die Uhr «in unseren Kulturkreisen nach wie vor das einzige von der Gesellschaft akzeptierte Schmuckaccessoire neben dem Ehering». Damit sei sie - egal ob klassisch oder technisch smart - nicht so einfach von Handgelenk wegzudenken. «Die Hauptfunktion bleibt das Anzeigen der Zeit», ergänzt der Branchenexperte aus Pforzheim.

So gesehen wäre es wohl doch besser, wenn auch die Strassen-Uhren in der Via Cavour und andernorts nicht nur kurz nach den halbjährlichen Zeitumstellungen - wie jetzt am 25. Oktober - korrekt gingen. In der Millionenstadt Rom gebe es rund 600 Standuhren mit Werbekästen darunter, sagt eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Die Reparatur und Zeitregulierung werde von den Werbeanbietern übernommen.

«Die Stadt kontrolliert das. Wenn es Beschwerden über falsche Anzeigen gibt, werden sie an die Unternehmen weitergeleitet», versichert sie. Doch vermutlich gehen kaum Beschwerden über das Uhren-Chaos ein, weil manche Leute die Mühe scheuen. Der Zeit-Experte Professor Prior hat noch eine andere Idee, die das allgemeine Zeitgefühl betrifft: «Vielleicht brauchen wir als Menschen für die Dinge, auf die es wirklich ankommt, die exakte aktuelle Zeit auch nicht?»

Kommentare

Mehr in People

Porträt Sean Diddy Combs
EU Ursula von der Leyen
23 Interaktionen
Königin Camilla und Schwägerin Prinzessin Anne
1 Interaktionen

Mehr aus Italien

1 Interaktionen
Papst Franziskus
5 Interaktionen