AHV: Claude Longchamp über die «Schlacht» um Rentenalter 65
Sollen Frauen bis 65 arbeiten? Die AHV-Abstimmung im September wird emotional – und die Kampagnen mit viel Geld geführt. Claude Longchamp wagt einen Ausblick.
Das Wichtigste in Kürze
- Im September entscheidet das Stimmvolk über die AHV-Reform und Rentenalter 65 für Frauen.
- Die vereinigte Linke will die Vorlage kippen, Bundesrat und Parlament kämpfen für ein Ja.
- Politologe Claude Longchamp erwartet einen heissen Abstimmungskampf mit offenem Ausgang.
Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ist in Schieflage. Gelingen keine Reformen, droht aufgrund der alternden Bevölkerung schon 2029 eine Finanzierungslücke. Am 25. September entscheidet die Stimmbevölkerung über zwei Vorlagen, die genau das verhindern sollen.
Herzstück der Reform ist die Angleichung des Frauen-Rentenalters auf 65 Jahre. Bundesrat und Parlament argumentieren, das sei nichts als fair – schliesslich liegt die Lebenserwartung von Frauen deutlich höher als jene der Männer. Gleichzeitig soll mittels einer zweiten Vorlage die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent erhöht werden.
AHV-Abstimmung: Geschlechter-Graben droht
Erbitterten Widerstand gegen diese Pläne leisten die linken Parteien SP und Grüne sowie die Schweizer Gewerkschaften. Sie sprechen von einer Reform «auf dem Buckel der Frauen», welche bereits beim Lohn und in der zweiten Säule diskriminiert würden.
Politologe Claude Longchamp sagt mit Verweis auf Umfragen tatsächlich: «Männer befürworten die Angleichung, die Frauen lehnen sie mehrheitlich bis grossmehrheitlich ab.» Im Bundeshaus spielte diese Überlegung aber keine Rolle.
Die Vertreterinnen von SVP, FDP, Grünliberalen und Mitte stimmten geschlossen für die Reform. «Sie sind der Meinung, dass die Vorlage vertretbar ist, gerade auch mit der vorgesehenen Kompensation.» Gemäss dem Schlüssel soll das Rentenalter schrittweise erhöht werden. Dazu werden Betroffene der nächsten Jahrgänge entschädigt.
«Grosse Schlacht» im Vorfeld erwartet
Aus linker Sicht reicht das nicht. Die Gegner sprechen konsequent von einer Abbau-Vorlage für die AHV. Es brauche ein Nein, um eine sozialere Reform aufzugleisen. Dafür sei auch noch genügend Zeit, behaupten sie im Gegensatz zu den Befürwortern der vorliegenden Revision.
Der Abstimmungskampf werde zur «grossen Schlacht um die AHV», ist Longchamp überzeugt. Weil wohl viele noch unschlüssig seien, erwartet der Polit-Experte grosse und teure Kampagnen beider Lager sowie eine breite mediale Berichterstattung. Über die kommenden Sommerwochen hinweg werde eine «Vor-Kampagne» geführt. Vor allem im August werde das Thema dann die Schlagzeilen dominieren.
Inflation als «Hindernis» für MwSt-Erhöhung?
Dabei dürften verschiedene Aspekte beackert werden. Umstritten ist mittlerweile auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent. Denn im Zuge der Inflation kann die Linke argumentieren, dass die zusätzliche Belastung aktuell für viele Menschen nicht zu verkraften sei.
Sicher ist: Wird eine der beiden Vorlagen abgelehnt, geht das gesamte Paket bachab. Alle relevanten Akteure empfehlen jedoch zweimal Ja oder zweimal Nein. Pikant: Weil die Mehrwertsteuer-Erhöhung einer Verfassungsänderung bedarf, ist hier das Ständemehr nötig.
Claude Longchamp wagt noch keine Prognose zur Abstimmung über die AHV. Denn: «Gerade in Unterschichten wird eher danach entscheiden, ob man profitiert von der Reform oder nicht – und nicht nach Parteiparolen.» Tendenziell werde die Ja-Seite in ersten Umfragen vorne liegen. Doch eine Aufholjagd der Gegner sei gut möglich.