Alain Berset stand in Pandemie-Zeit zweimal kurz vor Rücktritt
Im Interview bei «Gredig direkt» redet Bundespräsident Alain Berset auch über die Belastungen des Amts und Rücktrittsgedanken.
Das Wichtigste in Kürze
- Alain Berset zieht einmal mehr Bilanz über die Zeit im Bundesrat.
- Besonders prägend waren natürlich die Pandemie-Jahre.
- Die Belastung und Drohungen waren so enorm, dass er kurz vor dem Rücktritt stand.
Allzu viel gibt Bundespräsident Alain Berset nicht preis, im Interview bei «Gredig direkt». Geschickt spinnt er Gedanken weiter, wo die Fragen konkreter werden, oder eben «direkter». Auf Privates geht er nur am Rande ein; die Affären um die Corona-Leaks, sein Rencontre mit der französischen Luftwaffe und der Erpressungsversuch einer Ex-Geliebten werden lediglich erwähnt. Und dann beiseitegelassen.
Interessanterweise, gibt Berset zu bedenken, seien solche Dinge nur während der Corona-Zeit aufgeworfen worden. Er sehe da schon einen Zusammenhang: «Es ist einfach verbunden mit dieser sehr harten Situation, die wir erlebt haben als Gesellschaft, als Land. Ich war die Person, die man gesehen hat, die man anfeinden konnte.»
Fehler – und Rücktrittsgedanken
Selbstverständlich habe er Fehler gemacht, gibt er unumwunden zu. Er habe entscheiden müssen, obwohl oft Unsicherheiten und Ungewissheiten vorhanden waren. Aber: «Es ist viel besser, zu entscheiden, auch mit dem Risiko, Fehler zu machen, als nicht zu entscheiden.»
Mehr zu schaffen gemacht haben ihm aber die Anfeindungen in der Corona-Zeit. «In 20 Jahren Politik hatte ich das nie so erlebt, auch als Bundesrat nicht.» Es gebe Leute, die mit dieser Unsicherheit und Ungewissheit sehr schlecht umgehen könnten. «Die Reaktionen sind dann Brutalität, Anfeindungen, Drohungen. Es gab Momente, wo ich mich ernsthaft gefragt habe: Kann ich so noch weitermachen?»
Zweimal in den Pandemie-Jahren sei er an den Punkt gekommen, wo er sich ernsthaft Rücktrittsgedanken gemacht habe: «Wenn sich nichts ändert, wenn es so bleibt, wie es heute ist, bin ich nicht mehr in der Lage, meinen Job korrekt zu machen.»
Corona-Krise hat viel abverlangt
Moderator Urs Gredig hakt nach, denn, wie er festhält: «Geändert hat sich ja nicht viel.» Warum ist Berset dann trotzdem erst jetzt zurückgetreten? Er habe die Vorfälle gemeldet, sei von einem hervorragenden Team unterstützt worden, und: «Die Institutionen sind stark. Es gab auch die Rolle der Polizei. Man hat die Bedingungen geschaffen, damit ich weiterarbeiten kann.»
Sprich: Die Bedrohung wurde eliminiert und/oder der Personenschutz hochgefahren. Die Gründe für diese heftigen Reaktionen gegen ihn sieht Berset in der immer komplexeren Welt, der man mit digitalen Antworten begegnen wolle; Ja oder nein, schwarz oder weiss. «Es fehlt immer mehr der Platz für die Akzeptanz einer gewissen Komplexität.»
Dies brauche es aber, wenn man auch die Dinge nicht unnötig komplex machen müsse. Er halte es da mit Albert Einstein: «Man sollte alles so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher.»
Dünnhäutig sei er wegen all der Kritik und Rücktrittsforderungen nicht geworden, eher im Gegenteil. Man gewöhne sich fast schon daran, werde solider. Berset räumt aber auch ein, dass die Corona-Krise ihm viel abverlangt hat: «Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel arbeiten kann. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit diesem Druck umgehen kann.»
«Ich lag ganz falsch»
Es war dies nicht die einzige Überraschung, die das Amt als Bundesrat zu bieten hatte. Berset erinnert sich, dass das eigentlich schon von Beginn weg so war. «Der Moment der Wahl: Plötzlich, die Welt verändert sich total.» Er habe das unterschätzt, denn darauf vorbereiten könne man sich nicht, so wie er sich das ausgedacht hatte.
Schliesslich habe er seine Vorgängerinnen und Vorgänger miterlebt und mehr oder weniger gesehen, wie das funktioniere. Aber eben: «Ich lag da ganz falsch.» Wenn man das alles erlebt hat, sei es auch nur logisch, am Ende zu sagen: Okay, ich habe es gesehen.
«Ich habe alles gegeben, was ich konnte. Ich bereue nichts, weil ich habe wirklich einfach alles gegeben – aber es gibt schon einen Moment, wo es ziemlich klar ist: Okay, jetzt muss jemand anderes es versuchen.»
Und jetzt? «So blöd kann man nicht sein»
Auch die Frage, was er denn künftig machen wolle, beantwortet Alain Berset (immer noch) nicht. Sicher sei vorläufig nur eins: «Ich brauche wirklich Erholung.» Natürlich habe er in der Bundesrats-Zeit viel ausgeklammert. Und er sei auch ein sehr neugieriger Mensch – deswegen zum Beispiel auch die Fliegerei als Hobby. Konkreter werden will – oder kann – Berset aber nicht, ausser: «Ich brauche mal eine leere Agenda.»
Er nehme sich die Freiheit heraus, zuerst einmal etwas über seine weiteren Pläne nachzudenken. Im Moment tue er das aber nicht: «Man denkt, ja er ist alles am Vorbereiten – so blöd kann man nicht sein!» Schliesslich habe er im Moment einen sehr anspruchsvollen Job, mit dem Präsidium sei es auch sehr viel, und dies in einem komplexen Jahr. «Ich habe wirklich nichts anderes vor, als bis Ende des Jahres alles zu geben, was ich kann.»