«Arena»: Intensiv-Pflegeleiter schlägt Alarm für seine Mitarbeiter
In der «Arena» vom Freitagabend wurde für fünf Minuten der Pflegeleiter einer Intensivstation zugeschaltet. Seine Botschaft war klar: «Vergessen Sie uns nicht!»
Das Wichtigste in Kürze
- In der «Arena» vom Freitagabend wurde zum 21. Mal über das Coronavirus diskutiert.
- Die Sendungsmacher überraschten dabei mit einer Live-Schaltung in eine Intensivstation.
- Ein Pflegeleiter schlug Alarm: «Ich habe noch nie so viele Mitarbeiter weinen sehen.»
In der Schweiz müssen Bars und Restaurants wieder schliessen. Der Bundesrat hat gestern Freitag entschieden das Land bis am 22. Januar in einen Teil-Lockdown zu schicken.
Doch reicht dies um die Corona-Zahlen zu senken? Reicht es um das Schweizer Gesundheitswesen zu entlasten? Reicht es um den Ärzten und Pflegenden in den Spitälern eine Verschnaufpause zu geben?
Diese Frage wurde auch am Freitagabend in der 21. «Arena» zum Thema Coronavirus diskutiert. Und endlich kamen dabei einmal die Betroffenen zu Wort. Die Sendungsmacher überraschten nämlich mit einer Live-Schaltung in eine Schweizer Intensivstation.
Kurz davor rief die im Studio anwesende SRF-Zuschauerin Jolanda Abegg beinahe als Einleitung dazu nochmals für alle in Erinnerung: «Die Leute, die im Gesundheitswesen arbeiten, werden vergessen. Sie schreien um Hilfe und gemacht wird nichts. Die, die an der Front sind, das sind die Leidtragenden.»
Intensiv-Pflegeleiter: «Die meisten Leute mögen nicht mehr»
Wie sehr diese Worte der Wahrheit entsprechen, zeigte sich anschliessend im Gespräch mit Martin Balmer. Der Leiter der Pflege Intensivmedizin am Kantonsspital Aarau erklärte mit erschöpfter Stimme, was seine Kolleginnen und Kollegen in diesen Tagen leisten müssen.
Sein Gesicht war dabei nicht erkennbar: Mit Schutzanzug, Schutzmaske, Schutzbrille und Headset stand er vor der Webcam im Aufwachraum des Spitals. Laut Balmer wurde dieser über Nacht zur Intensivstation umfunktioniert – um Platz für vier weitere Betten zu schaffen.
«Die meisten Leute mögen nicht mehr. Sie sind müde und haben zu wenig Zeit sich zu erholen», schlug der Aargauer Alarm. Er sprach von Doppelschichten: «Wir können unsere Kollegen und Kolleginnen nicht einfach im Stich lassen» und von erschöpften Mitarbeitern: «In meinen 30 Jahren in der Intensivmedizin habe ich noch nie so viele Ärzte und Pflegende weinen sehen».
Während dem Gespräch waren im Hintergrund die erwähnten Kameraden und Kameradinnen von Balmer zu sehen. Mit ernster Stimme fasste er zusammen: «Sie können einfach nicht mehr – und sie sehen kein Ende. Wenn sie nach draussen schauen, sehen sie immer noch viele Menschen die sagen Covid sei ein Witz oder Covid sei ja gar nicht so schlimm – das trifft uns extrem hart.»
Der Leiter der Pflege Intensivmedizin enervierte sich auch darüber, dass gewisse Schutzmassnahmen teilweise noch immer nicht eingehalten würden. Als Beispiel nannte er etwa das falsche Tragen der Schutzmasken. «Das sind Sachen, die bei uns Kopfschütteln auslösen und uns traurig, aber auch wütend machen.»
Appell aus der Intensivstation: «Vergessen sie uns nicht!»
Balmer hatte einen Appell für die Politiker und die Schweizer Bevölkerung parat: «Vergessen Sie uns nicht, vergessen Sie nicht, was Sie hier hinter mir sehen.» Und er äusserte den eindringlichen Wunsch, sich bewusster an die Hygienemassnahmen zu halten.
Balmer sprach insgesamt für fünf Minuten und gab einen eindrücklichen Einblick in die derzeitige Situation im Schweizer Gesundheitswesen. Es war ein Einblick, der das Potenzial hat, die Corona-Diskussion im Land in den nächsten Tagen zu beeinflussen.
Über die Massnahmen des Bundes, die nur Stunden zuvor bekannt wurden, sprach der Intensivarzt übrigens nicht. Er wusste auch bis kurz vor der Sendung noch gar nicht wirklich über diese Bescheid.
Wegen der enormen Arbeitsbelastung auf der Intensivstation fand er keine Zeit, sich darüber zu informieren. Die Sendungsmacher mussten ihn deshalb kurz vor der Live-Schaltung noch aufklären.
Konsens bezüglich Gastro-Lockdown in der «Arena»
Ansonsten lief die «Arena» ähnlich ab, wie in den letzten Wochen, als es um das Thema Coronavirus und Schutzmassnahmen ging: Die eine Seite fand die Verschärfungen zu streng, die andere Seite nicht streng genug – und es gab einen gewissen Konsens bezüglich Gastro-Lockdown.
Gastronom Rudi Bindella jr. vertrat in der «Arena» die stark betroffene Branche und zeigte sich entsprechend enttäuscht: «Wir haben sehr viel unternommen, das hat alles Geld gekostet und jetzt müssen wir unsere Mitarbeiter trotzdem nach Hause schicken!» Der Unternehmer sprach von einem «Berufsmord».
Mattea Meyer, die Co-Präsidentin der SP, zeigte grosses Verständnis für die Frustration von Bindella. Sie meinte aber auch: «Die Restaurant-Branche muss sich nun opfern um Schlimmeres zu verhindern.» Sie verwies zudem gleichzeitig auf die (bürgerliche) Politik, die die geforderten finanziellen Unterstützungen nicht erbringen wolle.
SVP-Nationalrat Alfred Heer äusserte Mitleid mit den Jungen: «Sie sind die Leidtragenden und müssen die 40 Milliarden, die wir schon ausgegeben haben, später zurückzahlen.» Ausserdem kritisierte Heer ganz auf Parteilinie die Behörden, die «versagt» hätten, weil sie die Alters- und Pflegeheime nicht schützen würden.
Manuel Battegay, Chefarzt Infektiologie Universitätsspital Basel und Mitglied der Covid-Taskforce, sah sich genötigt einmal mehr zu erklären, dass Covid «nicht nur eine Krankheit für alte» sei. Battegay zeigte sich zudem «mehr als skeptisch» dazu, ob die neuen Massnahmen ausreichen werden, um die Corona-Zahlen zu senken. Bleibt nur zu hoffen, dass der Experte mit seiner Einschätzung daneben liegt...