Boots-Katastrophe: Schweiz soll auch ohne Frontex Beitrag leisten
Der Einfluss der Schweiz bei Frontex ist klein. Doch sie könne und müsse eigenständig mehr tun, fordern sowohl Frontex-Gegner wie -Befürworter.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Mittelmeer sterben weiterhin Tausende beim Versuch nach Europa zu flüchten.
- SP und Operation Libero sind sich einig: Die Schweiz kann eigenständig mehr Hilfe leisten.
- Sie verlangen aber auch eine grössere Einflussnahme auf die EU-Grenzbehörde Frontex.
Die ganze Welt verfolgt gebannt das Drama rund um das verschollene U-Boot im Nordatlantik. Im Wettlauf gegen die Zeit suchen Rettungsdienste nach der «Titan», um die fünf Insassen nach dem Kontaktabbruch zu retten.
Genauso entsetzliche Szenen spielen sich im Mittelmeer gleichzeitig und seit Jahren regelmässig ab. Tausende Menschen ertrinken jedes Jahr bei ihren Fluchtversuchen auf dem Weg nach Europa. Seit 2014 gelten 27'000 Personen als vermisst – allein 1289 seit Jahresbeginn.
Letzte Woche ist ein Boot mit 700 Migranten an Bord vor der Küste Griechenlands gekentert. Die UNO fordert eine Untersuchung des griechischen Umgangs mit der Katastrophe. Sie vermutet, dass früher Massnahmen hätten ergriffen werden müssen, um einen Rettungsversuch einzuleiten. Neben den griechischen Behörden richtet sich der Verdacht einmal mehr gegen die Grenzwächter der Frontex.
«Kein Unglück, sondern systematische Missachtung von Menschenrechten»
«Die furchtbare Katastrophe vor der Küste Griechenlands war nicht einfach ein Unglück», ordnet SP-Nationalrat Fabian Molina ein. «Es ist Ausdruck der systematischen Missachtung von Menschenrechten an der europäischen Aussengrenze. Die Schweiz ist vollumfänglich Teil der europäische Asylpolitik und trägt entsprechend eine Verantwortung», so der Vorwurf des Zürchers.
Auch laut Sanija Ameti, Co-Präsidentin Operation Libero, ist die Schweiz als Trittbrettfahrerin der europäischen Abschottungspolitik mitschuldig. Sie sitze mit den anderen Schengenstaaten am Tisch und habe eine Mitsprachemöglichkeit. «Deshalb hat sie eine enorme Verantwortung, darauf zu drängen, dass sich die Situation an den Aussengrenzen verbessert.»
Kaum Einfluss auch nach Referendum gegen Frontex
Genau um diese Frage drehte sich die Abstimmung beim Frontex-Referendum: Wie gross ist der Einfluss der Schweiz bei der Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache? Fabian Molina kämfte vor einem Jahr mit der SP gegen die Vorlage, Sanija Ameti gewann mit ihrem Lager die Volksabstimmung.
Doch so weit auseinander, wie das jetzt klingen mag, liegen ihre Ansichten nicht. «Als Geflüchtete und Liberale verabscheue ich das jetzige Frontex», mag sich Molina zwar gedacht haben. Geschrieben hat es Befürworterin Ameti. Doch im Sinne einer mitbestimmenden Europapolitik kam sie zum Fazit: «Kein Schengen ist auch keine Lösung.»
Die Schweiz hat die EU-Verordnung nach dem gescheiterten Referendum übernommen und das Budget für den Grenzschutz erhöht. Gewachsen ist der Einfluss dadurch nicht. Die Schweiz habe im Frontex-Verwaltungsrat bei allen Themen ein Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht, erklärt das Eidgenössische Finanzdepartement auf Anfrage. Aber: «Die Schweiz hat nur dann ein Recht auf Mitentscheidung, wenn sie direkt, also ihr Personal oder ihre Aussengrenzen, betroffen ist.»
Umsiedlungen, Botschafts-Asyl – und die Ukraine als Beispiel
Doch die Schweiz könne auch eigenständig einen Beitrag leisten, sind sich Ameti und Molina einig. Am einfachsten sei dies durch die Aufnahme von Geflüchteten über das Resettlement-Programm. «Dadurch wird verhindert, dass Frauen und Kinder die gefährliche Reise übers Mittelmeer auf sich nehmen müssen», so der SP-Nationalrat.
«Unsere Prohibitionspolitik im Asylbereich subventioniert die Mafia. Ein Beenden der Prohibitionspolitik durch reguläre Fluchtrouten und Botschafts-Asyl spielen hier eine grosse Rolle», ergänzt die Co-Präsidentin von Operation Libero. «Es braucht nur guten Willen. Mit den ukrainischen Flüchtlingen haben wir gezeigt, dass wir das können.»