Coronavirus: ETH & BAG korrigieren R-Wert von 0,96 auf 1,10
Wie erwartet explodiert der R-Wert des Coronavirus. Statt mit 0,96 weist ihn das BAG nun mit 1,10 aus. Was bedeutet das für die nächsten Bundesratsentscheide?
Das Wichtigste in Kürze
- Das BAG hat den von der ETH geschätzten R-Wert massiv nach oben korrigiert.
- Deshalb drohen an der nächsten Bundesratssitzung gar Verschärfung der Corona-Massnahmen.
- Politiker und zahlreiche Kantone bemängeln aber die neuen Daten. Diese seien verfälscht.
Die Bevölkerung staunte am Freitag nicht schlecht. Die für den 30. März durch die ETH geschätzte Reproduktionszahl betrug nur noch 0,96. Das würde bedeuten: Die Pandemie im Land ist rückläufig, die Infektionszahlen nehmen ab.
Lockerungen der Massnahmen gegen das Coronavirus schienen möglich. Heute nun der vielseits erwartete, beziehungsweise befürchtete «Schock».
Der R-Wert war durch die Behörden nämlich massiv unterschätzt. Statt mit 0,96 – einem Rückgang – weist ihn das BAG nun mit 1,10 für den 30. März aus. Würde heissen: Exponentielles Wachstum.
Die Zahl ist brisant, weil der Bundesrat sie in Betracht zieht, um über Verschärfungen oder Lockerungen der Corona-Massnahmen zu entscheiden. Just vor der richtungsweisenden Sitzung vom Mittwoch ist der Wert nun durch die Decke geschossen.
R-Wert des Coronavirus steigt: Gibts nun Verschärfungen?
Der grosse Sprung lässt sich wohl mit Meldeverzögerungen über die Ostertage erklären. Dennoch: Die Abweichungen, beziehungsweise Korrekturen in den letzten Wochen sind frappant. Die ETH konnte dazu am Freitag auf Anfrage noch keine Erklärung liefern.
Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person unter den aktuellen Bedingungen im Durchschnitt ansteckt. Es handelt sich um eine «statistische Schätzung», schreibt das BAG. Diese basiert auf umfangreichen Daten und statistischen Annahmen und bildet die Infektionslage der Vergangenheit ab.
Ab einem Wert von 1,15 über sieben Tage will die Landesregierung eine Verschärfung des aktuell geltenden Regimes in Betracht ziehen. Mit 1,14 liegt die neuste Schätzung für den 2. April nur noch knapp darunter.
Die wiederholt massiven Ausschläge, beziehungsweise nachträglichen Anpassungen, sorgen in der Politik aber längst für gehässige Reaktionen.
Kantone wehren sich gegen «verzerrte» Werte
SVP-Präsident Marco Chiesa forderte im Interview schon vor über einem Monat, den R-Wert nicht mehr zu beachten. Nun wehren sich auch Kantone dagegen. Was sie stört ist, was Nau.ch bereits vor Wochen publik machte: Das BAG zählt viele negative Tests nicht in die Statistik.
Mit Massentests und Selbsttests werden vermehrt asymptomatische, positive Fälle des Coronavirus gefunden. Diese treiben neben den Fallzahlen auch den R-Wert und die Positivitätsrate in die Höhe. Denn: Negative Resultate werden zum grössten Teil schlichtweg ignoriert. Alain Berset ist das bewusst, vielen anderen aber offenbar nicht.
Im SonntagsBlick klagt Martin Bühler, Leiter des Bündner Corona-Krisenstabs über «verzerrte Werte». Raphael Ben Nescher, Chef des Berner Corona-Krisen-Stabs, findet gar: «Fallzahlen, R-Wert und Positivitätsrate verlieren durch das Testen an Gehalt.» Das zentrale Kriterium müsse die Belastung der Spitäler sein.
Bremst R-Wert-Korrektur die Terrassen-Öffnung aus?
Als erster Kanton hat nun Zug reagiert und zählt auch negative Resultate. Kantonsarzt Rudolf Hauri, der höchste Kantonsarzt des Landes, macht klar: Statt 6,1 Prozent liegt die Positivitäsrate «nur» bei 1,7 Prozent.
Ob und inwiefern der Bundesrat auf diese Kritik eingeht, zeigt sich am Mittwoch. Dann will der Bundesrat in Sachen Massnahmen gegen das Coronavirus endlich wieder einmal Farbe bekennen.
Insider gehen nicht von weitgehenden Lockerungsschritten aus. Der Druck, zumindest die Restaurant-Terrassen zu öffnen, ist aber immens. Neben den Wirtschaftsverbänden plädierten bereits im März alle Kantone dafür.