Darum ist das Horrorszenario der Taskforce nicht eingetreten
Das Wichtigste in Kürze
- Die Taskforce warnte vor zwei Wochen vor bis zu 300 IPS-Einweisungen pro Woche.
- Trotz hoher Fallzahlen gehen nun die Hospitalisationen zurück.
- Ein Vergleich von Delta und Omikron liefert Hinweise.
Anfang Januar waren Szenarien gefragt, denn dass die Omikron-Welle die Schweiz überrollen werde, daran zweifelte niemand. Wie würden sich die explodierenden Zahlen der milderen, aber ansteckenderen Variante des Coronavirus auf das Gesundheitssystem auswirken? Die Taskforce warnte: Die niedrigere Hospitalisierungsrate könnte schnell durch die stark erhöhte Ausbreitung aufgewogen werden. Das könne bis zu 300 IPS-Einweisungen pro Woche zur Folge haben, ein Vielfaches gegenüber der Situation mit der Delta-Variante.
Horrorszenario nicht eingetreten
Einerseits wäre eine solche Situation nur mit drastischen Massnahmen zu stemmen gewesen. Andererseits ist sie nicht eingetreten, weshalb Wirtschaftsvertreter einmal mehr der Taskforce schwere Vorwürfe machen. Trotz nie dagewesener Höhe der Fallzahlen sind die Hospitalisationen eher rückläufig und die Lage auf den Intensivstationen entspannt sich.
Eine Auswertung offizieller Daten liefert indes einen guten Eindruck, wie die Diskrepanz zwischen Horrorszenario und Realität entstanden ist. Einen Hinweis liefern auch die Intensivstationen selbst: Dort liegen vor allem Patienten, die sich mit der Delta-Variante angesteckt haben. Tatsächlich scheint es, als wäre nach wie vor grossmehrheitlich Delta für die Hospitalisationen verantwortlich.
Omikron noch milder als angenommen?
Aus BAG-Zahlen lässt sich errechnen, wie viele Fälle anteilsmässig die Delta- und die Omikron-Variante verursachen.
Legt man die Anzahl der Hospitalisationen darüber, zeigt sich: Diese Kurve folgte der Delta-Kurve auch dann noch gut, als die Omikron-Fälle bereits in die Höhe schossen. Die Omikron-Variante scheint über den Daumen gepeilt für etwa 40 Hospitalisationen pro Tag verantwortlich zu sein. Dies aber ziemlich unabhängig von der Höhe der Fallzahlen.
Die Delta-Variante, obwohl an den Rand gedrängt, wäre demnach immer noch «Hauptschuldige» für Spitaleinweisungen. In der Grafik sind die Daten jeweils über sieben Tage geglättet. Die Zuordnung zu einer Virus-Variante beruht auf den extrapolierten Zahlen aus dem Überwachungssystem des BAG, also nicht nur hospitalisierten Patienten.
Beurteilung der Taskforce
Hat die Taskforce falsch gerechnet oder falsche Annahmen gemacht? Nein, betont deren Vizepräsident Urs Karrer, Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital Winterthur. Die vor zwei Wochen skizzierten Szenarien hätten dem damaligen Stand der Erkenntnisse aufgrund ausländischer Daten entsprochen. Jetzt habe man zusätzliche, genauere Daten aus der Schweiz und sehe, man liege im günstigeren Bereich der Szenarien.
Die gegenüber Delta geringere Gefährlichkeit von Omikron sieht er erst in dritter Linie als Grund für die verhältnismässig wenigen Hospitalisationen. «Der Hauptgrund ist die steigende Immunität in der Bevölkerung, insbesondere der vulnerablen Bevölkerung», so Karrer im gestrigen Point de presse. Denn dass die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisation um den Faktor sechs bis sieben sinke, habe man schon ab November gesehen.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass trotz hoher Fallzahlen die Hospitalisierungen sogar sinken?
Der zweite Grund sei, dass sich die Ü60 mit Booster und durch ihr Verhalten besser gegen eine Ansteckung geschützt hätten. In der Tat entspricht die Rangfolge bei der Inzidenz fast genau der Reihenfolge der Altersgruppen.
Je jünger desto eher angesteckt, aber desto weniger wahrscheinlich schwer erkrankt. Dass die Hospitalisationszahlen trotz allem immer noch den Ausschlägen der Delta-Fälle zu folgen scheint, lässt sich damit aber nicht erklären.
Sonderfall Schweiz
Oder noch nicht: Daten und Studien liefern laufend neue Einblicke, aber auch neues Kopfzerbrechen. Einerseits warnt die Taskforce vor einer Verharmlosung der Omikron-Variante. Die immer verbreitetere Immunität in der Bevölkerung mache den Unterschied. Die Virulenz sei hingegen ähnlich wie bei den Varianten vor einem Jahr. Zehntausend Menschen seien in der Schweiz daran gestorben, erinnert Karrer.
Andererseits gesteht Patrick Mathys vom BAG: «Die Schweiz scheint in Bezug auf Akutbetten einen Sonderfall darzustellen.» Anhand der Zahlen aus anderen Ländern sei die fast vollständige Entkopplung von Fällen und Hospitalisationen nicht zu erwarten gewesen. Oder hat dies der Bundesrat etwa kommen sehen?