Der Rücktritt des Bundeskanzlers ist eiskalte Berechnung
Es tut sich Spielraum auf bei den Bundesratswahlen, weil auch der Bundeskanzler ersetzt werden muss. Doch Walter Thurnherr ist ein ganz Schlauer. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Bundeskanzler Walter Thurnherr überrascht mit seinem Rücktritt.
- Sofort werden Planspiele betreffend Bundesratssitzen gemacht.
- Wahrscheinlich liegen aber alle falsch. Ein Kommentar.
Mit dem Rücktritt von Bundeskanzler Walter Thurnherr per Ende Jahr haben die wenigsten gerechnet. Der unbekannte Achte auf dem offiziellen Bundesratsfoto wurde mit einem Schlag zum Faktor für die Gesamterneuerungswahl des Bundesrats. Weil SP-Mann Alain Berset ebenfalls zurücktritt, ist die Spannung eh schon da.
Nun geht die Kalkuliererei von vorne los, denn die Mitte verliert einen «halben Bundesrat» in der Zauberformelrechung. Interessanterweise interessiert sich von den anderen Parteien aber kaum jemand für den Posten. Ausser der SVP, die, interessanterweise, ja einschlägige Erfahrung mit «halben Bundesräten» hat.
Die Rechnung geht nicht auf
Die Mitte hält sich verständlicherweise zurück, denn sie will primär ihren einen Bundesratssitz (Amherd) ins Trockene bringen. Die Grünen wollen sich nach allfälligem Wahlerfolg oder zumindest Wahlkonstanz nicht mit halben Sachen abspeisen lassen. Die FDP erhebt wohl keinen Anspruch auf das Kanzleramt, weil dann ihr Wackelkandidat Ignazio Cassis erst recht abgewählt wird.
Und so weiter, nur: In der Zauberformel kommt der Bundeskanzler gar nicht vor. Die Parteien können aus ihr weder Ansprüche ableiten noch den anderen Ansprüche absprechen. Es könnte geradesogut ein Parteiloser Bundeskanzler werden, oder eine Parteilose. Um es mit Ueli Maurer zu sagen: Auch ein «Es» (und um es nicht mit Ueli Maurer zu sagen: Gleiches gilt für Bundesräte).
Wenn die Mitgliedschaft in der Mitte-Partei tatsächlich ein Faktor war in der Vergangenheit, wenn die Parteizugehörigkeit des Bundeskanzlers in Zukunft ein Faktor sein sollte: Die Parteien hätten das längst in ein ungeschriebenes Gesetz schreiben können. Haben sie aber nicht. Die Initiative von Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der nach den letzten Wahlen einen «Konkordanz-Gipfel» einberufen wollte, verlief im Sand.
Und er rechnet doch!
Also alles nur heisse Luft, ein Sturm im Wasserglas, Peanuts? Nein, denn wer hier zurücktritt, ist immerhin Walter Thurnherr. Dieser hat schliesslich Theoretische Physik studiert und rechnet darum alle eventualvorsätzlichen Varianten der Zauberformel noch vor dem Morgenessen im Kopf durch. Für ihn ist heisse Luft nichts als Konvektion, im Wasserglas wird geströmt und Peanuts sind Erdnüsse und Erdnüsse sind konkave Cassinische Kurven und darum bipolar.
Natürlich ist der Mann berechnend, einfach nicht auf der banalen Ebene von halben und ganzen Bundesratssitzen. Die Karten sind neu gemischt, aber Thurnherr lässt sich nicht in sein Blatt schauen. Genauso wie er auf «X», vormals Twitter, kaum je Politisches von sich gab, sondern nerdige Rätsel postete. Sein letzter Tweet ist bezeichnenderweise nichts zu seinem Rücktritt, sondern eine mathematische Scherzfrage.
Kurz: Ich steh Kopf, wenn hinter dem Rücktritt nicht kühles Kalkül steckt. Einfach wohl eines, das wir Normalberechnende vor lauter Variablen gar nicht erkennen. Darum lassen Sie sich nicht ein «X» für ein vormaliges «U» vormachen. Alternativ können Sie auch immer noch kopfstehen; so löst sich wenigstens die mathematische Scherzfrage.
Falls Sie dann schräg angeglotzt werden, können Sie ja immer noch sagen, Sie seien ein Thurnherr.