1:0 für Cassis: Diplomatischer Schoggikrieg in Australien
Wer einem Schweizer Schoggi schenkt, kann sich auf etwas gefasst machen. So passiert mit Bundesrat Cassis in Australien. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Aussenminister Ignazio Cassis erhält in Australien Schoggi geschenkt.
- Er lehnt ab – und erntet prompt Vorwürfe aus den australischen Medien.
- Oder hat der smarte Cassis für sich selbst eine Win-Win-Situation kreiert? Ein Kommentar.
Crikey! Beinahe hätte Australien der Schweiz den Krieg erklärt. Wenn mit Bumerangs gegen Sackmesser gekämpft wird, müsste man fast schon die Genfer Konventionen ignorieren und zu geächteten Waffen greifen: Ricola Kräuterzucker für vom Menschen verursachten Gegenwind. «Schweizer Politiker lehnt Geschenk der Aussenministerin ab», titeln australische Medien – der diplomatische Zwischenfall hätte weitreichende Konsequenzen haben können.
Das hätte klebrig enden können
Hätte, denn erstens kam es anders, und zweitens als man kolportierte. Doch warum konnte es überhaupt so weit kommen?
Aussenminister Ignazio Cassis absolviert eine Südpazifik-Tour, trifft Vertreter von Kleinst-Inselstaaten und von grösseren Inselstaaten wie Neuseeland und Australien. Ups, das war jetzt gerade sehr inkontinent von mir, Australien gilt ja gar nicht als Insel, es ist einfach sonst grad zufällig von Wasser umgeben. Als hätten wir nicht schon genug Zwischenfall-Potenzial.
Jedenfalls trifft sich Cassis unter anderem mit der australischen Aussenministerin Penny Wong auf Augenhöhe. Wie üblich tauscht man Nettigkeiten und Aufmerksamkeiten aus, aber die Frau Wong hat sich was Oberschlaues ausgedacht. Ein freches Geschenk, wie sie zugibt, nämlich, tadah, Schokolade aus ihrer Heimatstadt Adelaide.
Schokolade einem Schweizer zu schenken, «das ist ja, wie einem Eskimo einen Sack Eis schenken», kommentiert ein Aussie-Leser: «Sie haben schon ein ganzes Land voll davon.» Ein Affront! «Das kann ich unmöglich annehmen», ruft prompt Cassis aus, «ich werde sonst nicht wiedergewählt!». «Du musst aber», insistiert Wong, «sonst haben wir einen diplomatischen Zwischenfall».
Freche Australier: Sie haben’s nicht erfunden
Die anstössige Schokolade stammt von Haigh’s und ein Ur-Haigh soll tatsächlich bei Lindt gelernt haben, wie man Schokolade macht. Wong ist überzeugt, dass der Lehrling den Meister mittlerweile übertreffe – und darum das Geschenk wohl umso berechtigter sei.
In der Tat scheint Haigh’s sehr, sehr viel gelernt zu haben. Im Angebot sind nämlich nicht nur dunkle, Milch- und weisse Schokolade, wie bei Lindt. Haigh’s weiss auch, dass man den berühmten «Goldhasen» von Lindt nicht kopieren darf. Deshalb gibt es den natürlich völlig unabhängig davon kreierten Goldfrosch – der ganz, ganz anders ist und deshalb etwa doppelt so teuer.
Cassis trocknet Wong ab
Der Aussenminister aus dem Binnenstaat Schweiz kann der Aussenministerin von der vom Meer umzingelten Nicht-Insel aber längst das Wasser reichen. Flugs lässt er sich von seiner Entourage ebenfalls ein Mitbringsel-Täschchen reichen. «Du zeigst mir den Lehrling, ich zeige dir den Meister», oder so, kommentiert Cassis den Inhalt, nämlich Lindt-Schokolade.
Anders als die australischen Medien es wahrhaben wollen, war da also gar kein diplomatischer Faux-pas. Sondern eine schlaue Retourkutsche, ein klassisches Manöver Schweizer Kriegskunst: Den Feind mit den eigenen Waffen zu schlagen. Wie weiland Winkelried reisst Cassis die überteuerten Lanzenspitzen-Kopien an sich, wirft aber gleich noch eigene Lanzen – die Originalen – in die entstandene Lücke.
Mein Name ist Goldhase, ich weiss von nix
Oder haben sich die beiden nebst Augenhöhe, Frisur und Partnerlook etwa auch sonst noch insgeheim abgesprochen? Es ist ja schon ein ziemlicher Zufall, mit dieser Schokoladen-Tauschaktion. Da macht die eine Anspielungen auf Lindt und der andere kann 14'000 Kilometer von zu Hause entfernt zufälligerweise Lindt-Schoggi aus dem Ärmel schütteln.
Gut möglich also, dass der vermeintliche diplomatische Zwischenfall also eine diplomatische Gefällikeit von Frau Wong an Herrn Cassis war. Immerhin wissen wir jetzt auch, dass Ignazio Cassis im Dezember nicht mit seiner Wiederwahl in den Bundesrat rechnet. Schliesslich hat er das «freche Geschenk» dann doch noch akzeptiert. So hat er einen praktischen Sündenbock für den Fall, dass die Bundesratsträume dahinschmelzen wie australische Schoggi in der Grossen Viktoria-Wüste. No worries!