Deshalb machen Parteien keine Hintergrund-Checks von Kandidierenden
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Exhibitionisten-Politiker kandidierte nach seiner Verhaftung für den Nationalrat.
- Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorwürfe längst publik, nicht aber die Identität des Mannes.
- Strengere Hintergrund-Checks für Kandidaten seien aber kaum umsetzbar, betont der Experte.
Letzte Woche dominierten die Enthüllungen um einen mutmasslichen Exhibitionisten die Schlagzeilen im ganzen Land: Ein Mann aus dem Kanton Aargau wird verdächtigt, sich in 35 Fällen vor 35 Frauen und Mädchen entblösst zu haben.
Tatort des Exhibitionisten war das Gebiet um die Aare zwischen Olten und Erlinsbach im Kanton Solothurn. Die Taten hatten sich zwischen 2017 und 2022 ereignet, verhaftet wurde der Aargauer im Juli 2022. Der wohl brisanteste Aspekt der Geschichte: Im Oktober 2023 kandidierte der Mann im Kanton Aargau für den Nationalrat – mehr als ein Jahr nach seiner Verhaftung!
Mutmasslicher Exhibitionist zu Nationalratskandidatur überredet?
Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorwürfe gegen den ehemaligen Kantonsrat längst bekannt – nicht aber die Identität des mutmasslichen Täters. Mittlerweile steht fest, dass es sich beim Tatverdächtigen um ein Mitglied der Mitte-Partei handelt. Im Fahrwasser der Entlarvung ist der Mann bereits aus der Partei ausgetreten.
Wie der mutmassliche Exhibitionist gegenüber «Blick» erklärt, habe er sich keine realistischen Chancen auf die Wahl in den Nationalrat ausgerechnet. Zur Kandidatur auf der Unterliste der Mitte-Partei habe er sich «überreden lassen», erklärt der Aargauer.
Frage nach institutionalisierten Hintergrund-Checks
Schnell drängt sich die Frage auf: Kennen Schweizer Parteien ihre Kandidaten und Kandidatinnen gut genug? Für Polit-Analyst Mark Balsiger bringe die Geschichte berechtigterweise die Frage nach institutionalisierten Hintergrund-Checks aufs Parkett: «Dieser Fall ist schlimm und muss lückenlos aufgearbeitet werden!»
«In der Arbeitswelt mögen solche Überprüfungen in gewissen Fällen sinnvoll sein.» In der Politik liessen sich dieselben aber kaum umsetzen, erklärt der Experte. Denn eine genauere Überprüfung von Kandidierenden scheitere letztlich an den finanziellen Ressourcen der Parteien.
Parteien haben keine Ressourcen für Hintergrund-Checks
Grundsätzlich beinhaltet das Stimm- und Wahlrecht in modernen Demokratien auch das sogenannte «passive Wahlrecht»: Das Recht also, für die Wahl in öffentliche Ämter kandidieren zu können. Alleine bei den Nationalratswahlen im Jahr 2023 haben fast 6000 Personen von diesem Recht Gebrauch gemacht, betont Balsiger.
5909 Personen kandidierten auf 618 unterschiedlichen Listen und Unterlisten. Den Parteien fehlten schlicht die Ressourcen, um alle diese Kandidierenden zu röntgen: «Hier stösst die Milizpolitik an ihre Grenzen!»
Straf- und Betreibungsregister geben keine Sicherheit
Institutionalisierte Hintergrund-Checks würden deshalb meist nur für Bundesrats- und Regierungsratswahlen durchgeführt. In der Regel überprüften Kantonalparteien auf tieferen Ebenen die Straf- und Betreibungsregister von potenziellen Kandidierenden.
Braucht es strengere Hintergrund-Checks von politischen Kandidierenden?
«Doch auch solche Dokumente geben nie eine absolute Sicherheit», wie der vorliegende Fall zeigt: Hier dürfte der mutmassliche Exhibitionist durch die Maschen gefallen sein, weil bis dato keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt.