«Die Jagdpolitik hat dem Wolf den Weg geebnet»
Die «Gruppe Wolf Schweiz» macht die Jagdpolitik der Kantone für die wachsenden Wolfsbestände verantwortlich. Ein Bündner Grossraubtierexperte ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die heimische Wolfspopulation wächst: Rund 180 Exemplare leben aktuell in der Schweiz.
- Für die «Gruppe Wolf» steht fest: Die Jagdpolitik der Kantone ebnet dem Raubtier den Weg.
- Raubtierexperten sind anderer Meinung: Sie weisen die Kritik der Wolfsschützer zurück.
Der Wolf ist derzeit in aller Munde – insbesondere Gebirgskantone leiden unter der scheinbar ungebremsten Vermehrung der Bestände des Raubtieres.
In einem am Freitag veröffentlichten Pressekommuniqué steht für die «Gruppe Wolf Schweiz» nun fest: «Die Jagdpolitik der Kantone hat dem Wolf den Weg geebnet.»
Der natürliche Faktor, der die Populationsgrösse beim Wolf bestimme, sei die Verfügbarkeit von Nahrung in der Form von Wildbeständen. Diese sind in der Schweiz grösser als in den meisten Ländern Europas – was den Zuwachs der Wolfsbestände erst ermögliche.
Jagdpolitik der Kantone am Ursprung des Problems?
Für die Wolfsschützer sind die Schuldigen schnell gefunden: Die Kantone hätten über Jahrzehnte ein Wachstum der heimischen Wildbestände «zugelassen oder gar gefördert.» Vor diesem Hintergrund erachtet der Verein den «Widerstand» vieler Kantone gegen die Ausbreitung des Wolfes als «heuchlerisch». Sie würden damit lediglich von der eigenen Verantwortung für die Situation ablenken.
Die derzeitigen Versuche, den Wolfsbestand über Abschüsse regulieren zu wollen, sei demnach weder zielführend noch erfolgversprechend. Sie würden langfristig nur «eine Menge an toten Wölfen verursachen», die Situation der Wolfspräsenz allerdings kaum verändern. Die Wölfe könnten die Abschüsse durch Vermehrung und Zuwanderung kompensieren, so die Wolfsschützer.
Wolfsschützer erkennen drei Ursachen
Die hohen Wildbestände führt der Verein wiederum auf drei Faktoren zurück: Einerseits hätten Kulturlandschaft und Klima das Nahrungsangebot für Pflanzenfresser vergrössert. Andererseits seien die Wildbestände das Resultat einer verfehlten Jagdpolitik, die in erster Linie von den Interessen der Jägerschaft geleitet werde.
Schliesslich machen die Wolfsschützer auch finanzielle Interessen der Kantone – in Form von Verkäufen von Jagdbewilligungen – dafür verantwortlich.
Wolfsbestand wird unter Lebensraumkapazität bleiben
Tatsächlich sind die Wildbestände aktuell auf einem historisch hohen Wert: Alleine im Kanton Graubünden schossen Jäger im September 3770 Hirsche und 2369 Rehe. Dies entspricht der viertgrössten Jagdbeute der letzten 30 Jahre.
Das Jagdinspektorat des Kantons Bern bezeichnet den momentan exponentiellen Zuwachs des Wolfsbestandes allerdings als einen natürlichen Vorgang: «Der Bestand wächst zuerst über viele Jahre sehr langsam, bis er ab einem gewissen Zeitpunkt schnell ansteigt.»
Anschliessend passt sich der Bestand an die natürliche Kapazität des Lebensraumes an. Die Bestandsgrösse wird in der Schweiz jedoch soziopolitisch festgelegt werden und «unter der natürlichen Lebensraumkapazität sein.»
Einstellung der Bevölkerung als zentraler Faktor
Gegenüber Nau.ch betont Arno Puorger vom Bündner Amt für Jagd und Fischerei einen weiteren Aspekt der Problematik. Der Grossraubtierexperte gibt zu bedenken: Je nach Einstellung der Bevölkerung, könnten sich Populationen sehr unterschiedlich entwickeln. «So gibt es beispielsweise in Österreich bei mehr als doppelter Wilddichte derzeit nur drei Wolfsrudel.»
Die belegte Existenz von 19 Wolfsrudeln in der Schweiz sei deshalb nur schwer mit der Behauptung der Wolfsschützer vereinbar: Andere Länder dulden die Präsenz des Raubtieres nur auf einem Bruchteil der Landesfläche, während 180 Wölfe durch die Schweiz streifen.
Umgang mit dem Wolf muss Konflikte reduzieren
Arno Puorger weist die Kritik der Wolfsschützer zurück: Der Umgang mit dem Raubtier müsse darauf abzielen, dass Konflikte effektiv reduziert werden. Nur mit einer Verminderung des Wildbestandes könne dies nicht erreicht werden. Damit würde der Druck auf die Nutztiere sogar noch zusätzlich verschärft.
Gleichzeitig könnten auch Herdenschutzmassnahmen nicht überall wirksam eingesetzt werden: Sie können Nutztierrisse nur reduzieren, nicht aber verhindern. Deshalb setze sich der Kanton Graubünden für konsequenten Herdenschutz, aber auch für Regulationsmöglichkeiten beim Wolf ein.