Gebäude-Physiker machen optimistische Omikron-Prognose
Ist der Optimismus bezüglich Omikron-Welle gerechtfertigt? Eine deutsch-schweizerische Studie kommt zum Schluss: ziemlich sicher Ja.
Das Wichtigste in Kürze
- Zusammen mit der Uni Marburg hat die Empa ein Corona-Prognose-Modell entwickelt.
- Für Omikron scheint das Resultat klar: Das Gesundheitssystem wird nicht überlastet.
- Das Modell macht verschiedene Annahmen, scheint aber insgesamt robust zu sein.
Die Pandemie hat uns vor allem eines gelehrt: Dass wir noch viel zu lernen haben. Prognosen waren und sind wegen der vielen Variablen schwierig. Kaum meint man, den Dreh raus zu haben, wird eine neue Virus-Mutation dominant und ändert die Spielregeln während dem Spiel. So geschehen mit dem Wechsel von Delta zu Omikron: Plötzlich standen die «normalen» Spitalbetten im Zentrum, nicht mehr die Intensivbetten.
Die Taskforce warnte Anfang Januar vor einer drohenden Überlastung des Gesundheitswesens. Die rekordhohen Ansteckungszahlen könnten den Vorteil durch meist mildere Verläufe gleich wieder zunichtemachen. Bis heute haben sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet. Nun präsentiert eine dem EDI von Bundesrat Alain Berset angegliederte Institution des Bundes eigene Berechnungen.
Gebäude-Physiker der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) haben ein mathematisches Modell entwickelt. Die Innenraum-Spezialisten holten sie sich Unterstützung von Fachleuten der Philipps-Universität Marburg und des Kantons Graubünden. Mit allen berechneten Szenarien kommt die Empa indessen zum gleichen Schluss: Sowohl in der Schweiz wie in Deutschland bringt Omikron das Gesundheitssystem nicht an Grenzen. Dies sei unwahrscheinlich, aber: «Einige Risiken bestehen dennoch.»
Wer mit wem, wo und wie stark immun
Deutschland und die Schweiz haben im Vergleich zu Ländern wie Grossbritannien oder Südafrika eine geringere Rate an Geimpften und Genesenen. Dies hatten die Forscher genau so zu berücksichtigen wie die länderspezifische Kontakt-Matrix. Diese simuliert, wie oft eine Person einer bestimmten Altersgruppe mit Personen anderen oder gleichen Alters Kontakt hat.
Wie gross der Anteil an Geimpften, Ungeimpften und kürzlich Genesenen in jeder Altersgruppe ist, wissen die Statistiker. Für andere Werte aber mussten die Empa-Forscher Annahmen treffen, von optimistisch bis pessimistisch, wie etwa beim R-Wert für Omikron. Auch wie gut (oder schlecht) Geimpfte oder Delta-Genesene vor Omikron geschützt sind, muss aktuell noch abgeschätzt werden.
Omikron-Welle noch nicht vorbei
Doch sogar mit den ungünstigsten Parametern lieferte das mathematische Modell der Empa-Forscher günstige Resultate. In keinem Szenario lag die Spitalauslastung höher als bei früheren Wellen des Coronavirus. Gleichzeitig weisen die Forscher aber darauf hin, dass dieses Resultat nicht isoliert betrachtet werden dürfe. Nur weil das Gesundheitswesen nicht gleich völlig kollabiert, sind nicht alle Gefahren gebannt – und die Fallzahlen könnten noch weiter steigen.
Denn nur gerade im optimistischsten Szenario bleiben die Fallzahlen in etwa stabil und beginnen in 10 Tagen zu sinken. In Szenario 2 und 3 steigen die Werte noch bis Mitte Februar an, im Extremfall auf rund 70'000 Ansteckungen pro Tag. Mit einigen Tagen Verzögerung könnte dies zu mehr Hospitalisationen führen, nicht aber mehr Belegung auf den Intensivstationen. Wie Nau.ch bereits aufzeigte, sind diesbezüglich vor allem die selteneren Delta-Ansteckungen relevant.
Hohe Fallzahlen – Massnahmen nur für Risikogruppen
Den von der Wirtschaft geforderten «Freedom Day» wollen die Forscher deswegen trotzdem nicht ausrufen. Denn für die Szenarien wird angenommen, dass weiterhin Massnahmen aufrechterhalten oder ergriffen werden, betont Empa-Abteilungsleiter Ivan Lunati. Dass die hohen Fallzahlen zu personellen Engpässen führen könnten, ist nicht ausgeschlossen. Auch das Risiko für Patienten mit anderen Erkrankungen, sich im Spital mit Covid-19 anzustecken, steige.
In Zukunft könnten die Empa-Modelle dazu beitragen, Massnahmen gezielt zu verfeinern, sagt Lunati. «Ich denke, es ist an der Zeit, Strategien eigens für unterschiedliche Risikogruppen umzusetzen.» Dies insbesondere, wenn das vorrangige Ziel sei, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
Robustes Modell
Für Deutschland gingen die Forscher von leicht anderen Annahmen aus. Die Kontakt-Matrix sieht leicht anders aus, der Impfschutz ist wegen eines anderen Impfstoff-Mixes minim schlechter. Das Empa-Modell zeigt hier aber sehr ähnliche Verläufe, einfach mit rund zwei Wochen Verzögerung.
Um ihren Ansatz zu testen, haben die Forscher das Modell mit einer Reihe von Varianten gefüttert. Unter anderem mit einer dreimal längeren Verweildauer der Patienten im Spital, oder sie vertauschten die Kontakt-Matrizen der beiden Länder. Das konnte der optimistischen Prognose aber nichts anhaben: Die Kurven sehen leicht anders aus, verlaufen aber spitalmässig immer noch im grünen Bereich.