Gewerkschaft

Gewerkschaftsbund besorgt: «Die Lohnschere öffnet sich wieder»

Kaspar Schwarzenbach
Kaspar Schwarzenbach

Bern,

Der «Schweizerische Gewerkschaftsbund» (SGB) ist über die Lohnentwicklung besorgt: Die Reallöhne der Meisten Arbeitnehmenden sind im Abwärtstrend.

Verteilungsbericht Gewerkschaftsbund Maillard
Pierre-Yves Maillard, der Präsident des «Schweizerischen Gewerkschaftsbundes» (SGB) ist über die Salärentwicklung besorgt: «Ein Lohn muss zum Leben reichen!» - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der «Schweizerische Gewerkschaftsbund» spricht von einer alarmierenden Lohnentwicklung.
  • Berufstätige mit mittleren und tiefen Einkommen verdienen heute real weniger als 2016.
  • Der Dachverband verlangt eine Reallohnerhöhung, einen Teuerungsausgleich und Mindestlöhne.

Obwohl die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt gehört, hat auch der hiesige Arbeitsmarkt mit zahlreichen Einkommensproblemen zu kämpfen. An der Jahres-Medienkonferenz des «Schweizerischen Gewerkschaftsbunds» (SGB) spricht der Dachverband daher von einer «besorgniserregenden Lohnentwicklung».

Deshalb wollen die Gewerkschaften im kommenden Jahr ihren Fokus auf die Entwicklung der Löhne legen. So verlangt der SGB eine Reallohnerhöhung, einen automatischen Teuerungsausgleich und einen Mindestlohn von 5000 Franken für Berufstätige mit Lehrabschluss.

«Ein Lohn muss zum Leben reichen!»

Gemäss dem neuen «Verteilungsbericht» des SGB ist die Lohnschere in der Schweiz nämlich jüngst wieder aufgegangen: Im Zeitraum zwischen 2010 und 2016 waren die unteren und mittleren Einkommen stärker gewachsen, als diejenigen der obersten zehn Prozent. Im Zeitraum zwischen 2016 und 2022 hingegen war nur bei den Einkommen der bestbezahlten zehn Prozent ein Realzuwachs zu verzeichnen.

Verteilungsbericht Gewerkschaftsbund Lohnschere
Zwischen 2010 und 2016 stiegen die unteren und mittleren Löhne real stärker als die obersten zehn Prozent. Zwischen 2016 und 2022 hatten nur die bestbezahlten zehn Prozent real mehr Lohn. (Gesamtwirtschaft, preisbereinigt) - SGB / «Verteilungsbericht 2023»

Berufstätige mit tiefen und mittleren Löhnen erhalten folglich im Verhältnis heute weniger Geld als noch vor ein paar Jahren. Für Nationalrat Pierre-Yves Maillard (SP/VD) steht fest: «Ein Lohn muss zum Leben reichen!» In der Schweiz sei das Geld für ein «würdiges Leben für alle» vorhanden. Der Präsident der SGB betont, dass verschiedene Faktoren das Potenzial haben, diese Ungleichheit künftig noch zu verschärfen.

«Wir sind besorgt»

Auch wenn die Lage hierzulande besser sei als in anderen Staaten, benötige es jetzt eine Lohnoffensive vonseiten der SGB. Die Entwicklung gehe in die falsche Richtung: «Wir sind besorgt.»

Verteilungsbericht Gewerkschaftsbund Reinvermögen
Das Reinvermögen der reichsten zehn Prozent der Schweizer Steuerpflichtigen war 2019 mehr als drei Mal so hoch wie das kummulierte Reinvermögen der restlichen 90 Prozent. - SGB / «Verteilungsbericht 2023»

Maillard hält an dieser Stelle fest, dass eine gerechte Verteilung des Wohlstandes auch die Demokratie stärke. Stattdessen seien 50 Prozent der Vermögen im Besitz von 1,6 Prozent der Bevölkerung – 2003 waren es noch drei Prozent.

Sinkende Reallöhne für Personen mit Berufslehre

Die Lohnentwicklung von Berufstätigen mit Lehrabschluss sei ebenfalls «beunruhigend» – hier sei gleichermassen eine signifikante Abnahme der Reallöhne zu verzeichnen. Ohnehin seien die Löhne nach einer Berufslehre in vielen Fällen alles andere als hoch. Angesichts der hohen Kosten für Krankenkassen und Mieten reiche der Lohn diesen Menschen immer weniger zum Leben. Zunehmend dränge sich die Frage auf, ob der Glaubenssatz der Schweizer Bildungspolitik, «die Lehre ist der Königsweg», überhaupt noch zutreffe.

Verteilungsbericht Gewerkschaftsbund Berufslehre
Die Reallohnentwicklung nach Ausbildungsstufen im Zeitraum zwischen 2016 und 2020 für Berufstätige ohne Kaderfunktion. - SGB / «Verteilungsbericht 2023»

Gerade in den sogenannten Tieflohnbranchen seien die Reallohnverluste überdies besonders hoch – ebenso wie der Frauenanteil. Tieflöhne von unter 4000 Franken im Detailhandel, in der Reinigungsbranche oder in der Pflege seien «inakzeptabel».

Aus diesem Grund verlangt SGB-Vizepräsidentin Vania Alleva Lohnerhöhungen und eine Reduktion der Arbeitspensen. Dafür müsse der Dachverband insbesondere bei den Verhandlungen über die Gesamtarbeitsverträge mehr Druck ausüben. Schliesslich wolle der SGB im kommenden Jahr auch die Prämienverbilligungen bei der Krankenversicherung ausbauen.

Kein Fortschritt in Gleichstellungsfragen

Schliesslich bemängelt der SGB auch die Stagnation in Aspekten der Gleichstellung. Während die Lohnunterschiede in den Altersgruppen unter 40 Jahren grösstenteils beseitigt sind, existieren sie in den älteren Gruppen bis heute. Seit 2012 ist dieser Unterschied überdies praktisch konstant geblieben. Frauen haben im Durchschnitt immer noch einen rund 18 Prozent tieferen Stundenlohn als Männer.

Rund die Hälfte dieser Lohnunterschiede lässt sich auf objektive Faktoren wie beispielsweise die berufliche Stellung, Ausbildung oder Branche zurückführen. Die andere Hälfte ist jedoch unerklärt und gründet wahrscheinlich auf Faktoren wie Lohnverhandlungen, Berufserfahrung oder Geschlechterdiskriminierung.

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