GLP-Grossen: So sieht die Stromversorgung der Zukunft aus
Künftig benötigt die Schweiz zusätzlichen Strom, besonders im Winter. GLP-Chef und Nationalrat Jürg Grossen erklärt, wie dies ohne Atomkraftwerke gehen könnte.
Das Wichtigste in Kürze
- Hierzulande dürfen keine neuen AKWs gebaut werden. Gar nicht nötig, findet Jürg Grossen.
- Der GLP-Präsident erklärt, wie die künftige Stromversorgung der Schweiz aussehen könnte.
- Dabei setzt er auf Power-to-X, Smart Grids und ein Strom- und Energieabkommen mit der EU.
Der 15. April markiert einen geschichtsträchtigen Tag für die deutsche Umweltbewegung: Nach mehr als sechs Jahrzehnten der Atomenergie gingen vor etwas mehr als einer Woche die letzten deutschen Meiler vom Netz. Auch hierzulande ist ein stufenweiser Atomausstieg vorprogrammiert: Seit der Volksabstimmung zur «Energiestrategie 2050» ist der Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz verboten.
Dies stellt die Versorgungssicherheit vor beträchtliche Probleme: Schon heute leidet die heimische Stromproduktion darunter, dass die winterliche Strombilanz wegen der Umstellung auf erneuerbare Energieträger zunehmend negativ wird. Auch künftig wird die Stromerzeugung über die Wintermonate geringer ausfallen, während der Stromverbrauch in die Höhe schnellt.
Gegenüber Nau.ch erklärt GLP-Parteipräsident Jürg Grossen, wie die Stromversorgung der Schweiz künftig sichergestellt werden könnte. Um dem Problem zu begegnen, setzt der Oberländer neben dem starken Ausbau der Solarenergie und der Verbesserung der Energieeffizienz auf einen dreigliedrigen Lösungsansatz: Die Rückverstromung von sommerlichen Überschüssen mittels Power-to-X, ein digitales Stromnetz und ein Strom- und Energieabkommen mit der Europäischen Union.
Rückverstromung mittels Power-to-X
Als «Power-to-X» bezeichnet man verschiedene Technologien zur Speicherung von Stromüberschüssen in Zeiten eines Überangebotes. Mit dieser Technologie kann überschüssiger Strom in Wasserstoff sowie in synthetische Treib- und Brennstoffe umgewandelt werden.
Am effizientesten geschehe die Rückverstromung («X-to-Power») mittels Kraftwerken zur Wärme-Kraft-Koppelung, erklärt Grossen. So könne gleichzeitig zur Stromproduktion im Winter auch effizient Wärme zum Heizen produziert werden. Auch für Flugzeuge und schwere Maschinen werde man zur Erreichung des Netto-Null-Zieles synthetische Treibstoffe («Power-to-Fuel») benötigen, erklärt Grossen.
Der Grünliberale räumt ein, dass die Power-to-X-Technologien aktuell noch erhebliche Umwandlungsverluste haben, doch das Potenzial sei gross und die Stromüberschüsse im Sommer derart hoch, dass dies verkraftbar sei.
Digitales Stromnetz und dezentrale Speicherung
Bereits vor fünfzig Jahren hatte die Schweiz ein intelligentes Stromnetz. Mit der Rundsteuerung wurden die Produktionsüberschüsse aus der Kernkraft in der Nacht für Elektroboiler, Speicherheizungen und Wärmepumpen verbraucht. Ferner hatte man deshalb unterschiedliche Stromtarife geschaffen, um den Verbrauch in der Nacht günstiger zu machen und zu fördern.
Grossen ist aber der Ansicht, dass die Schweiz in dieser «analogen und zentralen Stromversorgungswelt» stehen geblieben sei: «Wir haben es bisher verpasst, die Vorteile der Digitalisierung und der dezentralen Stromerzeugung mit einem intelligenten Stromnetz («Smart Grid») zu nutzen. Das müssen wir dringend nachholen!»
Mit einem digitalen Stromnetz und einer dezentralen Speicherung von Überschüssen könnten massive Kostensteigerungen beim Stromnetz und den Speichersystemen verhindert werden. Die starke Zunahme der Stromproduktion aus Solaranlagen, der steigende Verbrauch durch Elektroautos und der Einsatz deren Batterien als verbrauchsnahe Speicher sei ansonsten kaum zu bewältigen. «Die Verteilnetzbetreiber müssten nun endlich intelligente Stromzähler (Smart-Meter) installieren und dynamische Netztarife anbieten, um den Schritt in die digitale, dezentrale und erneuerbare Stromwelt zu machen.»
Strom- und Energieabkommen mit der EU
«In den kommenden Jahren wird die Importabhängigkeit im Winter zwar reduziert, aber nicht eliminiert», erklärt Grossen. Mit den dargelegten Massnahmen sei es technisch möglich, die Schweiz per 2050 ganzjährig und eigenständig mit erneuerbarem Strom zu versorgen, auch mit dem prognostizierten Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum.
Wirtschaftlich wäre es hingegen sinnvoller, gewisse Defizite mit Importstrom aus erneuerbaren Quellen zu decken. «Deshalb ist ein Strom- und Energieabkommen mit der EU unabdingbar. Es ist an der Politik, die Rahmenbedingungen für Energie-Importverträge sicherzustellen und die Stromresilienz für unser Land festzulegen.»
Überdies haben Forschende der ETH Zürich kürzlich Interessantes zutage gefördert: Eine eigenständige Stromversorgung entsprechend der «Roadmap Grossen» wäre demnach immer noch günstiger, als das «weiter-wie-bisher-Szenario» des Bundesamtes für Energie. Im Falle einer Einschränkung der Importkapazitäten, beispielsweise durch verminderte Stromproduktion im Ausland, wäre das Modell Grossen gar das günstigste.