Grünen-Glättli fordert Gremium gegen Fake News im Abstimmungskampf
Grünen-Parteipräsident Balthasar Glättli möchte Stimmbürgern zu einer «korrekten Willensbildung» verhelfen – mit einem staatlichen Gremium.
Das Wichtigste in Kürze
- Grünen-Präsident Balthasar Glättli verlangt staatliches Eingreifen gegen Desinformation.
- Ein Gremium soll ehrlich geführte Abstimmungs- und Wahlkämpfe gewährleisten.
- Politologe Claude Longchamp ordnet die Idee einer politischen Lauterkeitskommission ein.
Nicht nur hierzulande geniesst der Themenkomplex «Fake News» spätestens seit den US-Präsidentschaftswahlen 2016 Hochkonjunktur. Immer wieder schreiben die Medien über die zunehmende Bedrohung durch Missinformation und Desinformation.
Grünen-Parteipräsident Balthasar Glättli beobachtet, dass in Abstimmungskampagnen vermehrt Zuspitzungen oder gar eindeutige Falschaussagen gemacht würden. Diese könnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger irreführen.
Er hat deshalb eine parlamentarische Initiative eingereicht, die in Abstimmungs- und Wahlkämpfen endgültig für «lautere Argumente» sorgen soll. Wohlgemerkt: «Lauter» im Sinne der Lauterkeit, nicht der Lautstärke.
Für eine «korrekte Willensbildung der Stimmberechtigten»
Der Grüne betont zwar, dass politische Auseinandersetzungen in einer Demokratie «engagiert und heftig» geführt werden sollten. Gleichzeitig sei es für die «korrekte Willensbildung der Stimmberechtigten» aber unerlässlich, dass keine «offensichtlich irreführenden Behauptungen» gemacht werden.
Deshalb verlangt der Zürcher, dass der Bund mittels Anpassung des Gesetzes über die politischen Rechte entsprechende Rechtsgrundlagen schafft: Er soll ein Gremium ins Leben rufen, das zweifelhafte Aussagen in der öffentlichen Werbung während Abstimmungs- und Wahlkampagnen beurteilt. Ein staatliches Organ, welches mit einer Qualitätskontrolle der öffentlichen Auseinandersetzung betraut wäre, ohne dabei jedwede Sanktionsgewalt strafrechtlicher Natur zu erhalten.
Fehlinformationen untergraben das Vertrauen
Glättlis Forderung scheint von hehren Absichten geleitet zu sein, dürfte im Parlament aber auf Gegenwind stossen. Zwar sind Falschmeldungen und Fehlinformationen insbesondere im Internet weit verbreitet und verwischen die Trennlinie zwischen Wahrheit und Lüge. Diese Entwicklung schürt gesellschaftliche Unruhen und untergräbt das Vertrauen in traditionelle Informationsquellen.
Umgekehrt existieren aber bereits heute Straftatbestände, um gegen verleumderische und diffamierende Aussagen vorzugehen. Ausserdem verstossen «offensichtlich irreführende Behauptungen» in Radio- oder Fernsehsendungen gegen das Gebot sachgerechter Darstellung von Tatsachen und Ereignissen. Bei Vorliegen offensichtlich falscher oder irreführender Information ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtssprechung ein behördliches Eingreifen heute schon gerechtfertigt.
Äusserungen von privaten Akteuren durch Meinungsfreiheit geschützt
Die Äusserungen von privaten Akteuren wiederum sind durch die Grundrechte freier Kommunikation, vornehmlich durch die Meinungsfreiheit geschützt. Die Pflicht zur Sachlichkeit, Transparenz, Verhältnismässigkeit und Fairness gilt nur für staatliche Behörden.
Bereits 2018 erklärte die Landesregierung in ihrer Antwort auf einen ähnlichen Vorstoss der damaligen CVP: Im Rahmen politischer Auseinandersetzungen könne es kaum vermieden werden, dass übertreibende oder gar unwahre Behauptungen gemacht werden. Gleichzeitig war der Bundesrat überzeugt, dass den Stimmberechtigten ein Urteil über die bekundeten Meinungen und Übertreibungen «zugetraut werden» dürfe.
Entsprechend vertrat der Bundesrat die Ansicht, dass Medienkompetenz der Stimmbürger, Medienvielfalt und Medienqualität zur Sicherstellung der freien Meinungsbildung ausreichten.
Politologe Claude Longchamp hält die Forderung für «nicht zwingend»
Ähnliche Töne stimmt auch Politologe Claude Longchamp an: «Wir haben nicht nur Wahlen, sondern auch Abstimmungen – auf eidgenössischer Ebene rund neunmal jährlich, verteilt auf drei Termine.» Herr und Frau Schweizer zeichneten sich auch deshalb durch eine gewisse Routine im Umgang mit politischen Fragestellungen aus. Dies gelte insbesondere für die Beurteilung von wiederkehrenden Themen und Akteuren.
Der Experte ist überzeugt: Die zentrale Verantwortung im Bereich der Aufklärung über Fake News komme den Medien zu, nicht dem Staat. «Solange wir ein pluralistisches Mediensystem haben, das unabhängig von zentralen Akteuren funktioniert, sehe ich das nötige Korrektiv als gegeben an.»
Die Idee einer Lauterkeitsprüfung stamme aus dem Feld der kommerziellen Werbung. Politischer Diskurs sei jedoch etwas anderes: «Was Parteien oder Komitees schreiben, muss nicht zwangsläufig stimmen, darf im Gegenzug aber auch von Widersachern jederzeit kritisiert werden.» In einer liberalen Gesellschaft würden die Grenzen des Erlaubten diesbezüglich «recht grosszügig» gezogen, so der Experte.
Die Unlauterkeit von Argumenten könne so im Rahmen eines öffentlichen Diskurses verhandelt werden. In Kombination mit den bereits existierenden rechtlichen Grundlagen kommt der Politikwissenschaftler denn auch zu einem eindeutigen Urteil: «Im Moment halte ich diese Forderung für nicht zwingend.»
Zum Schutze der inkompetenten Stimmbevölkerung?
Der Vorstoss des Grünen-Präsidenten lässt verschiedene Punkte offen: Nach welchen Massstäben sollten Argumente als «unlauter» abgestempelt werden? Oft ist es kaum ermittelbar, welche Argumente der Wahrheit entsprechen und welche nicht. Manche Behauptungen stellen sich erst im Nachhinein als richtig oder falsch heraus, andere sind schlicht nicht überprüfbar.
Haben die Grünen zu wenig Vertrauen in die Informationskompetenz der Stimmbevölkerung? Der Urheber des Vorstosses war bedauerlicherweise nicht bereit, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen.
Immerhin: Das Sprichwort besagt, Lügen hätten kurze Beine. Ein Grundsatz, welcher auch in politischen Kampagnen greifen dürfte. Gerade in diesem Kontext existiert meist eine lautstarke Opposition, die grosses Interesse daran hat, unlautere Argumente der Gegenseite zu entlarven.