Integrative Schule: Verband kontert Kritik von SVP und Lehrern
Der Dachverband der Behindertenorganisationen kann den Unmut über die inklusive Schule nachvollziehen – denn diese sei gar nie richtig verwirklicht worden.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Lehrer sind mit der integrativen Schule unzufrieden, die SVP will eine Kehrtwende.
- Der Behinderten-Dachverband kann die Kritik verstehen und sieht ebenfalls Probleme.
- Man müsse nun aber voll auf Inklusion setzen und dafür die separativen Systeme abschaffen.
Gemäss Schweizer Verfassung darf niemand diskriminiert werden, namentlich auch nicht wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. Ausserdem sieht das Gesetz Massnahmen zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen von Behinderten vor. Ein Beispiel dafür ist die integrative Schule, bei der alle Kinder zusammen in einer Regelschule unterrichtet werden.
Doch genau dieses Modell soll in den Augen der SVP gescheitert sein. Auch die Mehrheit der Lehrpersonen ist mit der aktuellen Situation unzufrieden.
Behinderten-Verband: Brauchen nicht weniger, sondern richtige Inklusion
Den Unmut der Lehrerinnen und Lehrer kann Caroline Hess-Klein gut verstehen. Die Juristin leitet die Abteilung Gleichstellung von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Schweizer Behindertenorganisationen. Auch sie findet die heutige Situation unbefriedigend. Eine Rückkehr zum alten Modell mit mehr Kleinklassen und Sonderschulen, wie die SVP fordert, sei aber definitiv der falsche Weg.
«Das Problem ist, dass bisher eine wirkliche Inklusion noch gar nicht umgesetzt ist. Deshalb kann das Modell der integrativen Schule auch nicht beurteilt werden. Die Kritik gilt also vielmehr der mangelhaften Umsetzung», erklärt Hess-Klein.
Separative Strukturen müssen abgebaut werden
Aus Sicht der Lehrpersonen sei der Mangel an Ressourcen eines der Hauptprobleme – was Hess-Klein nicht erstaunt. «Wir fahren derzeit zweigleisig: Einerseits werden Kinder mit Behinderungen in Regelklassen integriert. Gleichzeitig werden aber die Sonderschulen weiter betrieben.»
Diese Ineffizienz lasse sich auch ausserhalb des Schulsystems beobachten. Die Bereitschaft der Schweizer Bevölkerung, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, sei gross. Dank des breiten Konsenses würde dafür auch viel Geld eingesetzt – was die Expertin grundsätzlich begrüsst. Doch das meiste fliesse in separative Systeme, welche die Menschen ihr Leben lang nicht nur ausgrenzen, sondern auch mehr kosten.
«Damit Inklusion wirklich funktioniert, muss man das System grundsätzlich überdenken. Denn die notwendigen Ressourcen sind bereits vorhanden. Diese müssen von den separativen Systemen in die Regelstrukturen transferiert werden», fordert Hess-Klein.
Lehren aus anderen Bereichen
Gegner der integrativen Schule bringen vorwiegend das Wohl des Kindes ins Spiel. Sie erwähnen Beispiele von Kindern, denen es nach der Überweisung in eine Sonderschule besser geht als zuvor in der Regelklasse. Unter ihresgleichen würden sie sich doch besser fühlen.
Doch dieses Argument lässt die Gleichstellungs-Expertin so nicht gelten. Sie macht ein Beispiel: Nach dem Ende der Rassentrennung in den USA war der Besuch einer neuen Schule für einige schwarze Kinder kein Spaziergang. «Trotzdem war der Schritt richtig und wichtig.»
«Wenn wir deswegen die Übung abbrechen, dann zementieren wir den Ist-Zustand. Wir müssen vielmehr das Schulsystem so verändern und die Lehrerschaft so unterstützen, dass auch Kinder mit Behinderungen sich darin wohlfühlen.»