Kassiert der Bundesrat am 13. Februar historische Dreifach-Klatsche?
Drei Niederlagen am gleichen Sonntag: Dieses Szenario droht dem Bundesrat am 13. Februar. Es wäre eine historische Klatsche.
Das Wichtigste in Kürze
- Gemäss Umfragen ist eine dreifache Niederlage des Bundesrats am 13. Februar möglich.
- Bei Tabakwerbung, Mediengesetz und Stempelsteuer wären dann Stimmvolk und Behörden uneins.
- Solche Dreifach-Klatschen lösten in früheren Jahren Debatten um Regierungsmisstrauen aus.
Der Abstimmungssonntag vom 13. Februar hat es aus Sicht des Bundesrats in sich. Das Mediengesetz mit dem Massnahmenpaket zugunsten von regionalen und lokalen Medien stösst auf viel Skepsis. Die Abschaffung der Stempelsteuer überzeugt gemäss Umfragen auch je länger je weniger Stimmbürger.
Auf ein Ja hoffen kann dafür das Komitee hinter der «Initiative zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». Doch auch dies wäre entgegen der Haltung des Bundesrats. Einig scheinen sich Regierung, Parlament und Volk einzig bei der Initiative zum Tier- und Menschenversuchsverbot, welche breit abgelehnt wird.
Verliert der Bundesrat dreimal?
Sagt das Stimmvolk Nein zu den beiden Gesetzen, aber Ja zur einen Volksinitiative, verliert der Bundesrat gleich dreimal. Dass dies am selben Tag geschieht, hat Seltenheitswert. 1994 führte ein ebensolcher Abstimmungssonntag gar zu einer grossen Debatte über Regierungsmisstrauen. Das Stimmvolk sagte Nein, Nein, Nein: zu Schweizer Blauhelmen, zum Kulturartikel in der Verfassung und zur erleichterten Einbürgerung junger Ausländer.
Der damalige Bundespräsident Otto Stich ordnete schon am Montag darauf eine Sondersitzung zwecks Aussprache und vertiefter Analyse an. Mit «Ohrfeige für den Bundesrat» beschrieb die Zeitung «Bund» die desolate Lage. Von Ernüchterung und Misstrauen gegenüber den Institutionen schrieb die «NZZ».
Die Agentur AP hatte «Katzenjammer im Bundeshaus» gehört und lange Gesichter bei den Bundesräten Villiger, Cotti, Dreifuss und Koller gesehen. Dabei, besonders perfid, waren zwei der drei Vorlagen lediglich am Ständemehr gescheitert, trotz knappem Ja des Stimmvolks.
Röstigraben und Schweizer Eigenbrötler
Verstimmt reagierte darum die Romandie, die fast geschlossen die drei Vorlagen angenommen hatte. Sie schimpften über den «Röstigraben», den sie umständlich als «barriere de pommes de terre sautées aux oignons» beschrieben.
Hängende Köpfe auch im Parlament, das gleichermassen verloren hatte, den Fehler aber beim volksfremden Bundesrat sah. «Die Zeit für bleiche Gesichter in Kampagnen ist vorbei. Wir brauchen Polemiker» schlussfolgerte SP-Nationalrat Alexander Tschäppät.
Insbesondere das Nein zu den Blauhelmen liess auch das Ausland wieder einmal verdutzt die schweizerische direkte Demokratie zur Kenntnis nehmen. Mit «Eigenbrötlerische Schweizer» fand auch die Süddeutsche Zeitung einen kulinarischen Vergleich. Ein Nein der Schweiz zur Welt sahen «La Stampa» oder auch die «Financial Times». Gleichentags hatte Österreich den Beitritt zur EU beschlossen, während in der Schweiz «ultrakonservative Traditionalisten die Abstimmungsbühne dominieren», so die FAZ.
Führer Christoph Blocher
In der Tat hatten die Parolen der rechtsnationalen Freiheits-Partei, der Schweizer Demokraten und der Lega, aber auch der SVP verfangen. Obwohl lediglich Kantonalpräsident, stand bereits damals ein gewisser Christoph Blocher im Mittelpunkt. «Er ist seinem Ziel, Führer der nationalen Rechten zu werden, nicht nur nähergekommen, er hat es bereits erreicht.» Diesbezüglich war sich die «Bündner Zeitung» sicher.
Doch: Geschichte hat die Tendenz, sich zu wiederholen. Nachdem Christoph Blocher 2003 Bundesrat geworden war, verlor die Landesregierung erneut Abstimmungen – und zwar reihenweise. Unter anderem sagte das Stimmvolk Nein zum Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative, nahm dafür die Verwahrungs-Initiative an und versenkte wuchtig zwei Einbürgerungs-Vorlagen. Nicht zum letzten Mal scheiterte auch eine AHV-Revision an der Urne.
Acht Abstimmungen in Serie verlor der Bundesrat, bis er im Herbst 2004 wenigstens bei zwei von vier Vorlagen recht behielt. Zwar war auch dann von Misstrauen gegenüber Bundesbern die Rede, doch die Situation war nur bedingt vergleichbar mit 1994. So war Bundesrat Blocher alles andere als enttäuscht darüber, als Justizminister die Verwahrungsinitiative umsetzen zu «müssen». Verkehrsminister Moritz Leuenberger wiederum war nie grosser Anhänger der Avanti-Strassensicherheits-Initiative gewesen.
Wer gewinnt, wenn der Bundesrat verliert?
Ähnlich präsentiert sich die Ausgangslage vor dem nächsten Abstimmungssonntag. Sollte es eine Dreifach-Klatsche für den Bundesrat geben, müssen die konkordanten Sieben ernsthaft über die Bücher. Bei drei thematisch völlig unterschiedlichen Vorlagen war man nicht am Puls der Bevölkerung. Das muss nicht unbedingt heissen, dass grosses Misstrauen da ist – aber es kann grosses Misstrauen auslösen.
Abstimmungsniederlagen von Bundesrat und Parlament seien keine Seltenheit, betont denn auch Politologe Claude Longchamp. «Häufen sich allerdings solche Entscheidungen in kurzer Zeit, sind sie ein Zeichen für ein gestörtes Verhältnis von Volk und Behörden.»
Im Gegensatz zu 1994 wäre 2022 die Gruppe der Gewinner aber kaum einzugrenzen. Die gleichen Linken, die gegen die Abschaffung der Stempelsteuer weibeln, hätten beim Mediengesetz den Kürzeren gezogen. Bürgerliche Kreise hätten bei letzterem besser überzeugt, beim Tabakwerbeverbot aber schlechter.
«Nicht mehr normal»
Longchamp zieht indes nicht nur die unmittelbar bevorstehende Abstimmung in seine Analyse mit ein. Er erinnert daran, dass während der Pandemie das Jagdgesetz, die Kinderabzüge, die E-ID und das CO2-Gesetz an der Urne scheiterten.
«Setzt sich das fort, ist das nicht mehr normal», warnt Longchamp. «Es zeigt, dass ein skeptischer Grundton gegenüber dem staatlichen Handeln dominiert und die Regierungskommunikation nicht mehr gleich gut ankommt.» Profiteure wären beidseits des politischen Spektrums die Polparteien.
Kurzfristig betrachtet heisst ein solches Abstimmungsresultat aber auch: Die Schweizer Stimmbevölkerung kann differenziert entscheiden. Einmal abgesehen davon, dass die eine oder andere Ausmarchung knapp ausfallen könnte. Für ausländische Medien wäre die Folge wohl noch mehr Verdutzung – aber weniger Schlagzeilen.