Konzernverantwortung: So macht die EU Druck auf den Bund
Die EU will schon im März eine Richtlinie zur Konzernverantwortung verabschieden. Auch Schweizer Konzerne wären davon betroffen, erklärt ein Rechtsprofessor.
Das Wichtigste in Kürze
- Die EU will mit einer Richtlinie Sorgfaltspflichten für internationale Konzerne stärken.
- Auch Schweizer Unternehmen würden davon betroffen sein und haften müssen.
- Ein Experte erklärt, wie der Bundesrat jetzt am besten vorangeht.
Im Jahr 2020 hat die Schweizer Bevölkerung über die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) abgestimmt. Diese forderte, dass Unternehmen für Schäden an Mensch und Umwelt haften und Mindeststandards einhalten sollten – auch im Ausland.
Die Initiative erreichte eine hauchdünne Mehrheit im Volk, scheiterte jedoch deutlich am Ständemehr: Deswegen wurde der abgeschwächte Gegenvorschlag jetzt in ein Gesetz umformuliert.
In der Zwischenzeit hat die EU im Bereich Konzernverantwortung vorwärtsgemacht: Das Parlament hat seine Position zur Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen angenommen. Aber es geht darum, entlang der Lieferkette für Rechenschaft gegenüber der Menschenrechte und Umwelt zu sorgen. Auch die Senkung von CO2-Emissionen könnte für manche Unternehmen Pflicht werden.
Derzeit wird noch verhandelt, was in der Richtlinie bleibt und was gestrichen werden soll. Sobald sie aber durchgesetzt werde, müsste die Schweiz mitziehen, sagt Nicolas Bueno, Rechtsprofessor an der FernUni Schweiz. Das könnte im März 2024 der Fall sein.
Doch wieso betrifft die Richtlinie auch die Schweiz, wenn sie doch kein EU-Mitgliedsstaat ist? Dafür hat die EU-Kommission gesorgt, sagt Bueno. Sie habe verhindern wollen, dass Unternehmen unfair behandelt werden. «Deswegen hat sie einen Artikel eingebaut: Auch Konzerne mit Sitz in Drittstaaten, die in der EU einen bestimmten Umsatz machen, müssen sich an die Richtlinie halten.»
Schweizer Grosskonzerne nicht von Konzernverantwortung ausgenommen
Der – Stand jetzt – vorgesehene Umsatz beträgt mindestens 150 Millionen Euro Netto. Für Unternehmen, die in einem Risikosektor tätig sind, reicht schon ein Nettoumsatz von 40 Millionen Euro: Das betrifft Rohstoffhändler oder Konzerne, die in der Landwirtschaft aktiv sind. Also zum Beispiel Nestlé oder Glencore.
Den betroffenen Unternehmen in der Schweiz würde dann eine öffentliche Aufsicht der EU zugeteilt, sagt Rechtsprofessor Bueno. Diese könne gegen die Konzerne ermitteln, falls sie eine Beschwerde erhalte.
«Ebenfalls sollte es möglich sein, dass eine Person eine Zivilklage gegen einen Konzern einreichen könnte», erklärt Bueno weiter. «Wenn dieser seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und einen Schaden verursacht hat.» Es bleibe aber noch unklar, welche Gerichte in welchem Fall zuständig wären, betont der Experte.
Grosskonzerne in der Schweiz würden also so oder so in die Verantwortung gezogen. Muss aber der Bundesrat auch aktiv werden? Nicolas Bueno sieht sich gezwungen, mit Ja zu antworten. «Wenn der Bundesrat einfach wartet, nichts macht, sind Schweizer Konzerne auf sich alleine gestellt, sobald die Richtlinie in Kraft ist.»
Eine ungünstige Sache für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Aber auch Image-technisch wäre es suboptimal, findet Bueno: «Wollen wir wirklich das einzige Land Europas ohne griffige Sorgfaltspflicht für Unternehmen sein?»
Bundesrat soll ein Gesetz ausarbeiten
«Die bessere Option» für den Bundesrat, so der Rechtsprofessor, wäre, von sich aus ein Gesetz auszuarbeiten. «Dann hätte das Parlament mehr Spielraum», sagt er. Auch, um Klarheit beim Abschnitt über Zivilklagen gegen hiesige Unternehmen zu schaffen.
Eine Volksinitiative wäre aber auch eine Möglichkeit, ist Bueno sicher. «Die Stimmbevölkerung hatte 2020 der Vorlage schliesslich zugestimmt, nur die Kantone nicht», erklärt er. Und dank der EU-Richtlinie hätten die NGO und zivilen Akteure mehr Verhandlungsmacht, wodurch sie ihre Position besser einbringen könnten.
Aber ein Gesetz könnte einen «harten Abstimmungskampf» wie letztes Mal verhindern, so der Professor. Das könnte von vielen Akteuren eine willkommene Lösung sein. Weniger willkommen: Die EU hat ihren Mitgliedstaaten eine Umsetzungszeit von zwei Jahren nach Annahme der Richtlinie gegeben.
«Es bleibt deswegen nicht sehr viel Zeit zum Handeln», warnt Nicolas Bueno. Viel Widerstand dürfte es aber nicht geben: KMU seien nicht betroffen, also falle das zentrale Gegenargument des letzten Abstimmungskampfs weg.