Martin Sellner: Hätte SVPler seinen Auftritt verhindern können?
Alt SVP-Nationalrat Luzi Stamm hat 2006 einen Vorstoss eingereicht, der für Redner wie Rechtsextremist Martin Sellner eine Bewilligungspflicht verlangte.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Auftritt des rechtsextremen Martin Sellner wurde von der Kapo Aargau unterbunden.
- Ein SVP-Vorstoss wollte genau dies regeln: Bewilligungen für ausländische Redner.
- Das Projekt versandete allerdings. Braucht es eine Neuauflage?
Nachdem der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner während einer Rede im Aargau abgeführt wurde, sorgte dies selbst im Ausland für Schlagzeilen. Natürlich in Österreich und Deutschland, aber auch in Ungarn, beim «Guardian», «Voice of America» und bis nach Indien. «Ist das legal?», fragte gar X-Besitzer Elon Musk auf X.
18 Jahre alter SVP-Vorstoss
Soweit bekannt ist es legal. Auch wenn sich zum Beispiel die Junge SVP Aargau mit Sellner solidarisierte, seither aber abgetaucht ist. Es könnte sogar noch viel legaler sein, lies: Die Schweiz könnte weitaus strengere Regeln haben.
Solche verlangte im März 2006 ein Vorstoss des damaligen SVP-Nationalrats Luzi Stamm unter dem Titel «Politischer Agitation durch Ausländer vorbeugen». Stamm wollte im Prinzip das wieder einführen, was acht Jahre zuvor abgeschafft worden war: den «Rednerbeschluss».
Bewilligungspflicht für Ausländer-Reden
Der Rednerbeschluss galt von 1948 bis 1998: Er war unter dem Eindruck des Kalten Kriegs vom Bundesrat als Instrument zur Abwehr eines allfälligen politischen Umsturzes erlassen worden. Vor der Rede eines Ausländers ohne Niederlassung war beim betreffenden Kanton eine Bewilligung einzuholen. Drohte eine «Gefährdung der äusseren oder inneren Sicherheit des Landes oder Störungen von Ruhe und Ordnung», wurde die Bewilligung verweigert.
Dies führte zuletzt zu absurden Aktionen: Der letzte so zum Schweigen gebrachte Redner war Isaac Velazco, ein Vertreter der peruanischen Guerilla «Túpac Amaru». Er hätte an der 1.-Mai-Feier in Zürich reden sollen, stand dann aber schweigend am Rednerpult. Gleichzeitig ertönte seine Rede aber ab Tonband – was dann irgendwie legal war.
SVPler Luzi Stamm wollte nun unter gleichen Voraussetzungen – Sicherheitsgefährdung und Störung von Ruhe und Ordnung – wieder eine Bewilligungspflicht. Dies unter dem Eindruck von Aktivitäten der albanischen UÇK oder von Einzelpersonen, die etwa die Steinigung von Ehebrecherinnen propagierten. Doch dem Vorstoss erging es wie vielen anderen auch: Er wurde innerhalb der Fristen nie traktandiert und dann abgeschrieben.
Mertin Sellner, der kleine Fisch
Rückblickend scheint Stamm darüber nicht unglücklich zu sein: Die ablehnende Antwort des Bundesrats «war für mich sogar nachvollziehbar», meint er heute zu Nau.ch. Hätten andernfalls die Behörden aber eine solide rechtliche Grundlage, um Auftritte wie denjenigen von Sellner schon vorab zu verbieten? Dann müssten nicht vor Ort Einsatzkräfte aufmarschieren und den Strom abdrehen.
Doch Stamm winkt ab: «Es ist selbstverständlich, dass mein Vorstoss auf die Schwergewichte gezielt hätte; auf Redner wie Staatschefs oder Oppositionsführer aus dem Ausland. Nicht auf solch ‹kleine Fische›, die im fast schon privaten Rahmen auftreten.» Andererseits wolle er der Kapo Aargau ja auch nicht dreinreden bei der Einschätzung, wie gefährlich eine Person sei. Das müsse indiviuell geprüft werden.
Jedoch: «Über die Argumentation, dass die öffentliche Sicherheit im vorliegenden Fall gefährdet gewesen sein soll, habe ich doch eher gestaunt. Wir reden hier von einem Lokal im ländlichen Tegerfelden AG. Und nicht von einer öffentlichen Rede an der Zürcher Bahnhofstrasse, wo die Dinge eher eskalieren können. Aber wie gesagt, die individuelle Einschätzung will und muss ich den zuständigen Polizeichefs überlassen.»
Keine Neuauflage des Rednerbeschlusses
Immerhin könnte man ja aber Stamms Anliegen von 2006, auch in abgewandelter Form, wieder aufgreifen. Er selbst möchte zwar davon absehen.
«Ich persönlich würde das im jetzigen Zeitpunkt nicht machen. Ich befürchte, im heutigen Umfeld würde ein solcher Vorstoss als ‹islamfeindlich› ausgelegt. Das wäre überhaupt nicht meine Absicht. Ich habe vor allen Religionen Respekt.»
Einen neuen Anlauf gestartet hatten anno 2017 hingegen eine Nationalrätin und vier Nationalräte aus drei Parteien. Dieses Mal gaben geplante Live-Übertragungen von Erdogan-Reden in Deutschland den Anstoss. Die Nationalrätin (Rosmarie Quadranti, BDP) und ein Nationalrat (Adrian Amstutz, SVP) sind nicht mehr im Parlament. Aber der Vorstoss wurde immerhin im Nationalrat angenommen und scheiterte erst im Ständerat.
Einer der Nationalräte ist noch im Amt (Mitte-Präsident Gerhard Pfister) und einer ist mittlerweile Ständerat (Daniel Fässler, Mitte). Der fünfte im Bunde ist gar schon einen Schritt weiter: Albert Rösti. Wer weiss, vielleicht kippt ja beim nächsten Mal die Haltung im Bundesrat.