Prämienhammer: Wir brauchen radikalere Werkzeuge
Die Krankenkassenprämien steigen 2024 je nach Kanton um 10 Prozent und mehr: Ein Déja-vu. Auf Wiedersehen im nächsten Jahr? Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Krankenkassenprämien steigen, dieses Jahr sogar um ziemlich viel.
- Die Massnahmen dagegen scheinen zu wenig scharf zu sein.
- Braucht es ein radikales Umdenken? Ein Kommentar.
Aufholeffekte, steigende Kosten, Fehlanreize: Kennen wir. Im Herbst ist der Anstieg der Krankenkassenprämien so sicher wie der Fall der Blätter. Alles andere wäre eine Sensation, vor allem, wenn es umgekehrt wäre. Wenn die Parteien wieder Prämienverbilligungen, neue Versicherungsmodelle und den Rücktritt des bereits zurückgetretenen Gesundheitsministers fordern, kann das nur eines heissen: Der Prämienhammer hat wieder zugeschlagen.
Doch, leider, obwohl wir hier vom Gesundheitswesen sprechen, ist es mit Pflästerlipolitik nicht getan. Es braucht neue Lösungen, um die Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen, möglichst genial und perfekt. Also sollte man diese vielleicht ausserhalb der Politik suchen.
Treten wir (einen Schritt) zurück
Betrachten wir also nebst dem Prämienhammer zunächst ein anderes Werkzeug in der jahreszeitlichen Werkzeugkiste: Die Gartenschere. Auch mit ihr lassen sich wahre Wunder und fatale Katastrophen vollbringen. Es soll ja Leute geben, die die Methode «einfach bodeneben abschneiden» bevorzugen. Worauf andere jeweils mit blankem Entsetzen reagieren.
«Diese armen Pflänzli», heisst es dann, «kein Respekt vor der Würde der Kreatur». Schaut euch diesen schönen knorrigen Ast an, mit seiner ureigenen Ästhetik. Und dieses Stämmchen, wohlgeformt und aufgeschossen, es wird viele grosse Blüten tragen. Oder viele Früchte, oder sogar beides (das soll vorkommen).
Feinarbeit und nicht Motorsäge ist gefragt, wenn die Forsythie im Folgejahr in vollem Glanz mit ihrem goldgelben, üppigen Frühlingsgruss erfreuen soll. Zweimal oder dreimal pro Jahr, für Perfektion gar viermal oder noch öfter, schneide man die Buchsbaumhecke. Aber bitte nicht radikal und am besten bei bewölktem Himmel.
Gesundheitskosten wachsen unbeschnitten
Ähnlich tönt es jeweils bei den Gesundheitskosten: Auch diese sind ein über Jahrzehnte gewachsenen Pflänzchen, wenn auch nicht gerade ein armes. Jeder Ast ist in Ästchen verzweigt und diese wiederum in Zweige und Zweiglein. So sind nicht nur die Preise für die ersten fünf Konsultationsminuten und jede weiteren fünf Minuten geregelt. Sondern auch für den Konsultationszuschlag bei Personen unter 6 Jahren und Personen über 75 Jahren.
Und die telefonische Konsultation, die komplementärmedizinische Konsultation und die Konsultation bei Personen mit einem erhöhten Behandlungsbedarf. Und die telefonische, komplementärmedizinische Konsultation durch den Facharzt bei Personen über 6 Jahren und unter 75 Jahren mit einem erhöhten Behandlungsbedarf, pro 5 Minuten.
Selbstverständlich ist es auch (preislich) ein Unterschied, ob eine Infusion gewechselt oder angelegt wird und ob sie venös, arteriell, subkutan oder intramedullär ist. Ist alles im «Tarmed» festgehalten und der ist ein dickes Buch von nur ganz wenig mehr als 4000 Seiten.
Mit den Kantonen ist es so eine Sache
Bei der Prämienfestlegung berücksichtigt werden selbstverständlich auch die kantonal unterschiedlichen strukturellen Bedingungen. Weshalb im Kanton Wallis 2024 die Prämien im Schnitt «nur» um 6,6 Prozent ansteigen, in der angrenzenden Waadt aber um 9,9 Prozent. Völlig verständlich, schliesslich ist das Wallis ganz bestimmt unterschiedlich, wenn auch meistens nicht strukturell bedingt.
Das war jetzt nicht ernst gemeint. Völlig unverständlich ist nämlich, wenn in Appenzell Ausserrhoden die Prämien um 10,1 Prozent steigen, in Innerrhoden nur um 6,5 Prozent. Obwohl in Ausserrhoden schon zuvor die Prämien etwa einen Sechstel höher lagen. Haben Sie mal die Karte angeschaut? Wenn Sie von Urnäsch AR mach Lachen AR fahren, sehen Sie, was ich meine.
Appenzell, immer eine Bildungsreise wert
Via Gonten AI und Appenzell AI geht es nach Gais AR, Altstätten SG, auf dem Weg nach Reute AR fährt man noch 40 Meter auf Innerrhödler Landstrasse. Nach Schachen (wieder AR) geht es nach Oberegg AI, bei Bad Schönenbühl zuerst 100 Meter wieder AR-mässig, 200 Meter AI-mässig, und dann ist es saumässig zum Lachen AR. Völlig klar, dass bei dieser bedingten Struktur die Prämien alle paar Meter anders ausfallen müssen.
Verstehen Sie mich richtig: Die Geografie kann nichts dafür und es haben sicher alle richtig gerechnet und gute Begründungen für ihre Tarife. Aber, ich hätte da ein paar Tipps. Erstens: Nächstes Ferienziel diese Appenzellen, wobei es völlig unerheblich ist, welches sie anpeilen, sie preichen unvermeidlicherweise sowieso beide.
Radikaler Schnitt
Zweitens: Die Krankenkassenprämien. Vielleicht wäre bodeneben abschneiden und nachwachsen lassen doch nicht das Allerdümmste. Denn ästhetisch ist hier eh nichts mehr, höchstens noch aufgeschossen, aber sicher nicht wohlgeformt.
Das mit dem viermal jährlich korrigieren haben wir jetzt lange genug probiert, bei Wolken und bei Sonnenschein. Also muss halt auch der knorrige Ast dran glauben. Bei allem Respekt für die Würde der Kreatur Gesundheitswesen.