So eine «Morerei», oder: Wenn Schimpfwörter Schwein haben
Der Aufreger: Ein Nationalrat bezichtigt einen anderen Nationalrat der «Mohrerei». Darf man das – so unter Kollegen, live am TV? Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Hat der Ausdruck «Mohrerei» einen rassistischen Unterton?
- Ja und nein, sagen die zuständigen Stellen bzw. Urheber.
- Aber dann wird es erst kompliziert. Ein Kommentar.
Es ging so oder so hoch zu und her in der «SRF Arena» zum Klimaschutz-Gesetz. Tags darauf sah sich Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt genötigt, sich auch noch gegen mediale Vorwürfe rechtfertigen zu müssen. Denn in den Tamedia-Portalen hiess es, er habe SVP-Nationalrat Michael Graber «politisch ziemlich unkorrekt» beschimpft. Weil auch die in Dialektschimpfwörtern bewanderte Leserschaft reklamierte, wurde nachträglich der Artikeltext geändert.
Aber zurecht? Zumindest in einem Punkt liegt Müller-Altermatt goldrichtig: Die Sache mit der Sprachpolizei ist wahnsinnig heikel.
Wenn der «Mohr» eine «Moore» ist
Unbestritten ist auch: Müller-Altermatt hat das tatsächlich gesagt. «Es ist eine Mohrerei, wie Sie einem die Worte im Mund umdrehen.» Nun gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen, ob «Mohr» per se politisch unkorrekt sei; die Mohrenkopf-Debatte lässt grüssen. Müller-Altermatts Vorbehalt ist aber ein anderer: In seinem Solothurnischen – und anderen Dialekten – sei eine «More» oder «Moore» ein weibliches Schwein.
«Sauerei» ist zwar auch nicht gerade die feine Art, aber wenigstens nicht rassistisch. Zumindest solange man nicht pauschalisierend von «Sauerei-Wallisern» spricht. Tatsächlich bestätigt das Schweizerische Idiotikon: Eine «More» ist ein «unverschnittenes weibliches Schwein». Kastriert wird dagegen der Tamedia-Artikel, indem «politisch unkorrekt» wegfiel und aus der «Mohrerei» eine «Moorerei» gemacht wurde.
Die Sache hat nur einen Haken.
Wie meinen?
Wie Jamie Foxx in «Django Unchained» schon betonte: «The H is silent», das «H» macht den Schweinebraten jetzt auch nicht feiss. Denn vermutlich, sagen Sprachwissenschaftlerinnen, liegt der «More» der gleiche Wortstamm zugrunde wie dem «Mohr». So seien zunächst primär schwarze Sauen so bezeichnet worden. Hat der werte Nationalrat also doch in verunglimpfender Weise von einer «Nordafrikanerei» gesprochen?
Ja, wenn man statt Sprach-Polizist den Sprach-Nazi raushängen lassen möchte. Relevanter wäre hier aber wohl die Frage, was Stefan Müller-Altermatt gemeint hat: Nämlich dass Michael Graber ein Löu, blöde Siech, Glünggi und/oder Sürmu sei. Nur weil Graber von der Alpensüdseite stammt, wird ein Solothurner ihn deswegen nicht gleich als afrikanisch betiteln. Wer die Intention absichtlich falsch verstehen will, bitte sehr.
Kegeln mit Regeln
Müller-Altermatt hat also nur bedingt recht, wenn er sich auf die Verteidigung «es heisst aber bei uns so» beruft. Aber er hat sehr recht, dass man nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen soll, weil man dann bald die eigentlichen Elefanten kaum mehr rüsseln hört. Was hätte er denn tun sollen – mitten im Satz den Dialekt wechseln?
Sonst müsste man nicht nur in der «SRF Arena» über die Bücher, sondern auch in anderen Sendungen. Zum Beispiel «10vor10», welches im November 2016 von einem Aufmarsch von Unterstützern der Präsidentschafts-Kandidatin Hillary Clinton berichtete. «Hauptsächlich Latinos und Afro-Amerikaner» seien es, «viele kommen mit Kind und Kegel». Will «10vor10» etwa unterstellen, pigmentierte Menschen zeugten reihenweise uneheliche Kinder?
Denn, das weiss ja jedes eheliche Kind, ein «Kegel» ist ein sogenannter «filius spurius», ein unehelicher Sohn. Nicht nur Kindern, selbst Erwachsenen dürfte ja aber klar sein, dass «10vor10» das nicht so gemeint hat. «Kind und Kegel» ist eine Redewendung, «in denen ein sonst erstorbenes Wort sich noch lange mit fortschleppt». So stand es schon Mitte 19. Jahrhundert im Standardwerk «Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm».
Aber «Siech» darf man sagen?
Hellhörig werden sollte man höchstens bei Sendungen wie «Glanz & Gloria». Dort hiess es Anfang 2015 über William und Kate: «Für ein Männermagazin posierten sie mit Kind und Kegel.» Das kann kein Zufall sein.
So wie SRF-Moderatorinnen keine 150 Jahre alten Wörterbücher büffeln, sind auch Nationalräte davon dispensiert. Denn meistens wissen wir, wie es gemeint ist und im Zweifelsfall gilt die Unschuldsvermutung. Sonst müsste man bald bei jedem zweiten Adrenalin-Schub in den Quellen der Quellen nachschauen gehen.
Für «Siech», zum Beispiel, verweisen die Gebrüder Grimm auf das «Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen». Es stammt von ihrem Zeitgenossen August Fick. Da soll sich der «Värslischmid» Mani Matter mal einen Reim drauf machen.