Wahlen 2023: Claude Longchamp gibt Grünen wenig Chancen auf Wachstum
Können die Grünen bei den Wahlen 2023 ihren Erfolg wiederholen? Nötig wäre es, sonst fällt der Bundesrats-Anspruch dahin, sagt Politologe Claude Longchamp.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Jahr vor den Wahlen blickt Politologe Claude Longchamp auf den Formstand der Parteien.
- Haupt-Herausforderungen für die Grünen: ihren Wahlerfolg von 2019 zu bestätigen.
- Den Anspruch auf einen Bundesratssitz zu legitimieren, werde schwierig.
In weniger als einem Jahr– am 22. Oktober 2023 – finden die eidgenössischen Wahlen 2023 statt. Auch wenn derzeit die Nachfolge der beiden abtretenden Bundesräte die Polit-Schlagzeilen dominieren: Die Parteien haben ihre Wahlkämpfe längst lanciert.
Die Grüne Partei will den Schwung aus der letzten Wahl mitnehmen und drittstärkste Partei im Parlament werden. Mit dem Überholen der FDP wollen sie ihre Ambitionen auf einen Sitz im Bundesrat bestärken.
Doch ausgerechnet der grosse Sieg von 2019 werde im nächsten Jahr die Haupt-Herausforderung, erklärt Politologe Claude Longchamp. «Die Grünen haben ihren Wähleranteil letztes Mal fast verdoppelt. Das kann fast nicht noch mal höher ausfallen – das wäre ja schon fast ein Wunder.»
Grüne: Sitze halten wäre schon Sieg
Bereits das Halten der Sitzzahlen und des Wähleranteils müsste bei der Grünen Partei schon fast als Sieg verbucht werden. Büssen die Grünen von ihren 13 Prozent Wähleranteil ein Prozent ein, stünden sie als Verlierer da, so Longchamp. Obwohl 12 Prozent im Vergleich zu 2015 immer noch sehr viel seien.
Der ganz grosse Durchbruch sei der Partei bisher nicht gelungen, analysiert Longchamp. «Sie waren weniger dezidiert, weniger entschlossen in dieser Legislatur.» Der Experte spricht von einem Spagat zwischen Bewegungspartei und einer Partei, die institutionelle Politik betreibt.
Die Bewegungen hätten sich radikalisiert und sich teilweise auch von der Partei abgewendet. Und im Parlament sei die Konkurrenz gross: «Von SP bis SVP schauen alle, was die Grünen machen.»
Herausforderung Sitz im Bundesrat
Im Zusammenhang mit den Bundesrats-Rücktritten bei SVP und SP gewinnt Longchamp auch einen wenig vorteilhaften Eindruck der Parteileitung der Grünen. «Sie ist strategisch noch nicht entschieden. Sie hat vor allem noch keine Lösung, wie man das grosse Ziel, den ersten Bundesratssitz zu erobern, eigentlich erreichen will.»
Das Alter sei wohl der wichtigste Faktor, ob jemand die Grüne Partei wähle oder nicht, analysiert Politologe Claude Longchamp. «Bei den U30 ist sie etwa doppelt so stark wie bei Rentnerinnen und Rentnern.» Bei den 30- bis 50-Jährigen seien die Grünliberalen die grössten Konkurrenten mit ihrer moderateren Politik. Bei den 50- bis 70-Jährigen, sieht Longchamp die SP als Konkurrenz, weil soziale Fragen höher gewichtet würden als ökologische.
Longchamp: «Grüne könnten Plafond erreicht haben»
Dass die Aussichten für die nationalen Wahlen eher düster scheinen, trotz Wahlerfolgen in den Kantonen, sei nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn verglichen würden hier meist Wahlergebnisse von vor und nach dem «Klimajahr» 2019. Ganz im Gegensatz zu den 2023 anstehenden Wahlen.
Nun gehe es darum, ihr gutes Resultat von 2023 zu bestätigen. «Sonst sind sie wohl raus aus dem Geschäft, demokratisch legitimiert einen Anspruch auf einen Bundesratssitz zu stellen», warnt Longchamp. Sollte dies tatsächlich gelingen, stehen aber weitere Hürden im Weg.
«Die Bürgerlichen werden sagen, dies gehe nur zulasten der SP, doch die SP bietet dazu freiwillig nicht Hand.» Es müsse gleichzeitig eine grosse Niederlage der SP bei den Wahlen eintreffen. Anders als 2019 könnten die Grünen auch nicht auf Unterstützung der Mitte hoffen. «Die Mitte hat ein Ziel: Die FDP zu schwächen, aber ich denke, dies wird sie mit den Grünen nie erreichen können.»