Wahlschlappe im Ständerat setzt FDP-Bundesräte unter Druck
Nach den Wahlen 2023 steht für Politologen fest: Die Mitte kann ihre Position als Mehrheitsmacherin ausbauen. Setzt dies die FDP im Bundesrat unter Druck?
Das Wichtigste in Kürze
- Nach den Wahlen 2023 kann die Mitte ihre Machtposition als Mehrheitsmacherin ausbauen.
- Das könnte bei allfälligen Vakanzen den zweiten Bundesratssitz der FDP unter Druck setzen.
- Insgesamt sind sich die Parlamentskammern derzeit so ähnlich, wie schon lange nicht mehr.
Die Wahlen 2023 liegen endgültig im Rückspiegel: Am vergangenen Sonntag hat die Schweizer Stimmbevölkerung die letzten Mandate im Ständerat vergeben. Der Blick in die Resultate enthüllt die FDP als Wahlverliererin, während die Mitte ihre Position als Mehrheitsmacherin ausbauen kann.
In der kommenden Legislaturperiode wird die Mitte mit 15 Mandaten somit zur stärksten Kraft im Ständerat. An zweiter Stelle folgt die FDP mit 11 Sitzen, gefolgt von der SP mit 9 Sitzen.
Die SVP ist wieder mit 6 Personen im Ständerat vertreten, die Grünen mit 3. Die Genfer Bürgerbewegung (MCR) und die Grünliberale Partei wiederum senden neu je eine Vertretung in die kleine Parlamentskammer.
Doch was bedeuten diese Resultate für die kommende Legislatur? Politikwissenschaftler schätzen bei Nau.ch ein.
Rückkehr zum Status Quo?
Auf Anfrage von Nau.ch erklärt Politikwissenschaftler Michael Hermann, dass diese Resultate in erster Linie als Ausdruck der Stabilität zu interpretieren seien: «Gerade für die Polparteien bedeuten sie eine Rückkehr zum Status Quo von 2019. Die SP wird wieder mit neun, die SVP wieder mit sechs Sitzen in der kleinen Kammer vertreten sein.»
Dass die SVP ihren Wahlsieg im Nationalrat nicht in den Ständerat übertragen konnte, überrascht den Leiter der Forschungsstelle «Sotomo» nicht. Im Majorzwahlverfahren reiche es schlicht nicht aus, die eigene Basis zu mobilisieren. «Die SVP bezahlt den Preis für ihre deutliche Positionierung», erklärt Hermann: «Keine Partei hat so viele Freunde oder so viele Feinde wie die SVP!»
Ähnlich sieht es Politikwissenschaftler Claude Longchamp: «Im Nationalrat wählt man Parteivertreter – je klarer, desto besser. Im Ständerat hingegen ist Überparteilichkeit gefragt.»
Ein «Reich der Mitte» im Ständerat?
Für Polparteien sei es deshalb schwer, ausserhalb der eigenen Lager zu mobilisieren, erklärt Hermann. Sowohl die SVP, als auch die SP und die Grünen hätten mit diesem Problem zu kämpfen. Den Sozialdemokraten gelänge es jedoch etwas besser, Wahlallianzen zu schliessen, weshalb sie in der kleinen Kammer stärker vertreten sind.
Um im Majorzverfahren der Ständeratswahlen Mehrheiten zu erreichen, müssten Kandidierende nämlich in möglichst viele Richtungen anschlussfähig sein. Dies spiele insbesondere der Mitte-Partei in die Karten, wie Hermann weiter ausführt. «Darüber hinaus ist der Ständerat ein Gremium der kleinen Landkantone – die traditionell als Hochburgen der Mitte-Partei zu verstehen sind.»
Bangt FDP um Bundesratssitz?
Longchamp ist überzeugt, dass sich die Mitte deshalb nun in einer komfortablen Situation wiederfinde: Die Partei könne sowohl mit FDP und SVP, als auch mit SP und Grünen Mehrheiten bilden. «Mit anderen Worten: Solange sie einheitlich politisiert, führt an der Mitte im Ständerat kein Weg mehr vorbei.»
Überdies stehe neben den Grünen die FDP spätestens jetzt als klare Wahlverliererin fest, wie Hermann anfügt: «Ihr Abstand zur Mitte ist im Ständerat noch grösser geworden. Bei einem allfälligen FDP-Rücktritt im Bundesrat wird dies sicherlich zum Argument für eine zweite Mitte-Vertretung.»
Diesen wachsenden Druck auf die freisinnige Bundesratsvertretung erachtet Hermann als weitaus bedeutendere Konsequenz als die leichte Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse.
Hermann betont: «Insgesamt bleibt der von vielen Experten auch im Ständerat erwartete Rechtsrutsch aus.» Bemerkenswert sei hingegen die Tatsache, wie stark nach den Wahlen 2023 beide Parlamentskammern durch die Mitte-Partei geprägt seien.
«Tatsächlich sind sich die beiden Räte jetzt so ähnlich wie schon lange nicht mehr!» Dies könne zu einfacheren Mehrheiten und einer Harmonisierung der Parlamentskammern führen. Gleichzeitig werde aber die Distanz zwischen Parlament (National- und Ständerat) und Bundesrat umso sichtbarer.
Im Bundesrat mache heute nämlich noch immer die FDP – oft zusammen mit der SVP – die Mehrheit. Die Mitte hätte nun in der Bundesversammlung die nötige Mehrheit, um dies zu ändern, erklärt Hermann.