Was der revidierte SVP-Wahlkampf-Song wirklich beweist
Der SVP-Wahlkampf-Song ist musikalisch entschärft worden. Womit DJ Tommy beweist: Bei Pop gibt es nichts Neues unter dem Sünneli. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Der gesperrte SVP-Wahlkampf-Song ist in einer neuen Fassung erschienen.
- Jetzt soll er keinen Anlass zu Urheberrechts-Klagen mehr bieten.
- Die SVP beweist, dass sie recht hatte: Es gibt nichts Neues. Ein Kommentar.
Die Wogen schlugen hoch und höher, als die SVP es wagte, zum gefühlt fünften Mal einen Wahlkampf-Song vorzustellen. Natürlich mit dazugehörigem Video von Polit-Menschen in ungewohntem Habitat. Skandalös: Da hat doch DJ Tommy ein Lied erfunden, das gar nicht neu war, sondern wie «We Are Family» tönt.
Die SVP beweist, dass sie recht hat
DJ Tommy heisst eigentlich Thomas Matter und ist nicht DJ, sondern Banker. Und SVP-Nationalrat. Aber als musisch Begabter, wie sich DJs seit 50 Jahren nennen dürfen, wusste er sogleich, wie man sich seit 50 Jahren verteidigt: Es ist purer Zufall, es ist eh alles irgendwann schon einmal komponiert worden, was will man da machen.
Statt es darauf ankommen zu lassen, hat DJ Tommy halt den Song leicht verändert und neu herausgegeben. Und er beweist damit, dass er recht hatte: Es tönt eh alles gleich. In der neuen Fassung ist die Ähnlichkeit mit «We Are Family» weitaus geringer, dank zwei vertauschten Tönen.
Aber nun könnte man genauso gut DJ Tommy vorwerfen, die Keyboards von Dr. Alban («Sing Hallelujah»), die Dance Moves bei Genesis («I can’t dance») und den Rap-Stil bei Vanilla Ice («Ice Ice Baby») abgeschaut zu haben. Hauptsache Anfang 90er-Jahre, schliesslich war DJ Tommy damals Mitte 20 und schliesslich ist Thomas Matter im Vorstand einer konservativen Partei.
Schlau wäre natürlich gewesen, gleich von Beginn weg mit neuen Tönen aus der SVP aufzuwarten. Aber wer will schon eine langweilige Wahlkampf-Sommerpause?
Einheitsbrei in Musik – und Politik?
Plattenreiter Matter wird wohl reklamieren, dass es mehr als zwei Töne und erst noch andere Akkorde seien. Ja, im anderen Teil des Refrains, aber aufgepasst, auch «We are family» macht die gleichen Tonsprünge als Variation. Und ach ja, die Akkorde – die sind ein bisschen vertauscht wie die Töne und dann passte der Übergang nicht mehr, also ist noch ein halber Takt eingeschoben.
Das ist keine musikalische Meisterleistung, aber dafür muss sich auch niemand schämen. Den Beweis dafür lieferte einst einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Musiker und Produzenten, Ed Sheeran. Bei «RTL Nederland» behauptete er 2017 in einer Talkshow, er könne jeden – jeden – Hitparaden-Song mit nur vier Akkorden spielen.
Zufälligerweise lag im Studio eine Gitarre rum. Zufälligerweise ist der Herr Sheeran ein wandelndes Lexikon an Songtexten. Also liefert er ab: Die immer gleichen vier Akkorde zu allen Hits, die ihm das Moderations-Duo an den wirren Lockenkopf wirft. Bezeichnenderweise spielt er aus Versehen statt «Beat it» von Michael Jackson «Papa don't preach» von Madonna – aber auch das geht auf.
Sheeran verspricht, «Beat it» nachzuliefern. Es gehe wirklich mit allen Songs – ausser bei Franz Zappa, der sei «fucking weird», und Stevie Wonder, der ungefähr 18 Akkorde brauche.
DJ Tommy auf Augenhöhe mit Ed Sheeran
Dass sich Ed Sheeran Mühe gibt, das eigene Metier in den Dreck zu ziehen, kommt nicht von ungefähr. So wurde er beschuldigt, sich für «Thinking out loud» bei «Let’s Get It On» von Marvin Gaye bedient zu haben. Seine Verteidigung: Die meisten Popsongs seien eh mit den gleichen Elementen aufgebaut. Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor.
Natürlich könnte man überoriginell wie Frank Zappa sein, aber dann hätten wir einen Wahlkampf-Song der Juso, der 12 Minuten dauert und einen HNO-Termin nötig macht. Natürlich könnte man auch clever durchdacht wie Stevie Wonder sein – Steilpass für die GLP, nur wird die sich weigern, solches zu tun: 18 Akkorde, das sei nicht nachhaltig.
Nein, das Stimmvolk bekommt die Wahlkampf-Songs, die es verdient. Oder die es verträgt, je nachdem. Und die SVP ist die neue Beliebigkeit – oder der neue Ed Sheeran. Je nachdem auch beides.