Beispielloser Rechtsstreit um Parlamentspause in London
Hat Boris Johnson mit der vorübergehenden Schliessung des Parlaments gegen die Verfassung verstossen und die Queen belogen?
Das Wichtigste in Kürze
- Elf Richter müssen entscheiden, ob Boris Johnson gegen die Verfassung verstossen hat.
- Vor dem Gebäude des Supreme Court in London versammelten sich Demonstranten.
- Sie werfen dem Premierminister Machtsmissbrauch vor.
Am Dienstag hat – von Protesten begleitet – vor dem obersten britischen Gericht die Anhörung, zu der von Premierminister Boris Johnson auferlegten Zwangspause des Parlaments begonnen. Elf Richter des Supreme Court müssen entscheiden, ob das Gericht zuständig ist.
Und falls sie diese Frage bejahen, ob Johnson mit der Schliessung des Parlaments gegen die Verfassung verstossen hat. Der Rechtsstreit gilt als beispiellos in der britischen Verfassungsgeschichte.
Vergleich mit Hulk
Vor dem Gerichtsgebäude im Londoner Regierungsviertel in Westminster versammelten sich Demonstranten, darunter ein als grünes Muskelmonster Hulk verkleideter Rentner. Premier Johnson hatte kürzlich einen skurrilen Vergleich zwischen dem Comic-Helden und Grossbritannien gezogen.
«Hulk ist immer entkommen, egal wie eng gefesselt er war – und so ist das auch mit diesem Land.» Der als Hulk verkleidete Rentner David sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir müssen unsere Demokratie beschützen.»
Eine Frau hatte sich den Mund zugeklebt und hielt ein Schild in den Händen, auf dem «Kein Parlament, keine Stimme» stand. «Wir wollen unser Land zurück», rief ein anderer Demonstrant.
«Sie haben die Queen getäuscht», stand auf dem Schild einer Frau. Johnson wird vorgeworfen, er habe Königin Elizabeth II. für seine politischen Zwecke belogen, um die Zwangspause durchzudrücken.
Auch Befürworter vor Gericht
Aber auch einige Dutzend Brexit-Befürworter warteten vor dem Gericht. Drei Jahre nach dem Referendum müssten die Parlamentarier endlich den Brexit liefern, sagte der 56 Jahre alte Lee.
Vergangene Woche hatte ein schottisches Gericht die fünfwöchige Parlamentsschliessung für rechtswidrig erklärt. Nach Meinung der Richter in Edinburgh wollte Johnson die Abgeordneten im Brexit-Streit kaltstellen. Die Regierung legte gegen das Urteil Berufung ein.
Zwei weitere Klagen gegen die Zwangspause, vor dem High Court in London und dem High Court im nordirischen Belfast, waren abgelehnt worden. Auch diese Entscheidungen sollen vom Supreme Court überprüft werden. Der Londoner High Court war der Auffassung, es handle sich um eine politische, nicht um eine rechtliche Frage. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der High Court in Belfast.
Entscheidung für Freitag erwartet
Erwartet wird, dass der Supreme Court auch am Mittwoch und Donnerstag tagt und am Freitag eine Entscheidung verkündet.
Die vorübergehende Schliessung des Parlaments innerhalb einer laufenden Legislaturperiode wird in Grossbritannien als Prorogation bezeichnet. Sie steht üblicherweise einmal jährlich an und endet mit der Verlesung eines neuen Regierungsprogramms durch Königin Elizabeth II., der sogenannten Queen's speech.
Ungewöhnlich an der von Johnson erwirkten Prorogation ist ihre Länge. Statt mehrerer Wochen dauerte sie in den vergangenen Jahrzehnten selten länger als einige Tage. Vor allem aber gilt es als ungeschriebenes Gesetz, dass die Prorogation nicht gegen den Willen der Mehrheit der Abgeordneten eingesetzt wird.