Die Proteste in Katalonien gegen die langjährigen Haftstrafen für prominente Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung haben am Freitag einen neuen Höhepunkt erreicht: Nach einem Sternmarsch aus fünf katalanischen Städten versammelten sich am Freitagnachmittag mehr als eine halbe Million Menschen zu einer Grosskundgebung in Barcelona.
Grosskundgebung in Barcelona
Grosskundgebung in Barcelona - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Ex-Katalanen-Anführer Puigdemont stellt sich in Belgien der Polizei.
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Zuvor hatte ein Generalstreik das öffentliche Leben lahmgelegt. Erneut kam es am Rande der Proteste zu gewaltsamen Ausschreitungen radikaler Jugendlicher.

Nach Angaben der örtlichen Polizei beteiligten sich insgesamt etwa 525.000 Menschen an der Kundgebung. Viele schwenkten Unabhängigkeitsfahnen und trugen Transparente mit sich. Zum Ende der Demonstration zogen hunderte Vermummte in die Nähe der Polizeizentrale der katalanischen Hauptstadt, steckten Müllcontainer in Brand und lieferten sich Auseinandersetzungen mit Polizisten, die sie mit Tränengas auseinanderzutreiben versuchten.

Bereits zuvor hatten sich tausende Menschen an einem Generalstreik beteiligt. Allein in Barcelona mussten 57 Flüge am Boden bleiben, die Oper sagte eine für den Abend geplante Vorstellung ab, die weltberühmte Gaudí-Kathedrale Sagrada Família wurde für Besucher geschlossen und auf dem bekannten Boquería-Markt in Barcelonas Altstadt waren nur wenige Verkaufsstände geöffnet. Auch ein Werk des Autobauers Seat mit mehr als 6500 Mitarbeitern in der Stadt Martorell blieb geschlossen.

Bereits am Morgen hatten Demonstranten nach Angaben des Verkehrsministeriums unter anderem die Autobahn AP7 bei La Jonquera in beiden Richtungen sowie die Nationalstrasse N-II in der Nähe der Grenze blockiert. Ein für den 26. Oktober in der katalanischen Hauptstadt geplantes Fussballspiel von Real Madrid und dem FC Barcelona wurde wegen erwarteter Demonstrationen verschoben.

Spaniens Oberster Gerichtshof hatte am Montag Haftstrafen von bis zu 13 Jahren gegen prominente katalanische Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft wegen «Aufruhrs» verhängt. Dabei ging es um ihre Rolle bei dem umstrittenen Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens im Jahr 2017, das eine Erklärung der Regionalregierung zur Loslösung von Spanien sowie danach die Absetzung der Regierung und die Zwangsverwaltung durch Madrid zur Folge hatte.

Seit dem Urteil kam es jeden Tag in Katalonien zu Demonstrationen mit teils gewaltsamen Ausschreitungen. Es gab Dutzende Festnahmen und Verletzte, allein in Barcelona belaufen sich die Schäden dem Stadtrat zufolge inzwischen auf über 1,5 Millionen Euro. Für die Unabhängigkeitsbewegung, die stets für Gewaltlosigkeit eintrat, bedeutet dies einen Wendepunkt.

Der Oberste Gerichtshof Spaniens hatte auch einen Haftbefehl gegen den im belgischen Exil lebenden früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont ausgestellt. Am Freitagmorgen stellte sich Puigdemont in Brüssel freiwillig der Polizei. Vor Journalisten sagte er, er sei einem Richter vorgeführt worden, der ihn «ohne Kaution» freigelassen habe. Er müsse sich für weitere Vorladungen zur Verfügung halten.

Weniger als einen Monat vor Spaniens Neuwahl am 10. November setzen die Proteste und Ausschreitungen den amtierenden sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez unter grossen Druck. Vor allem die rechtsgerichtete Opposition fordert drastische Massnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung. Sánchez sagt dazu auf dem Brüsseler EU-Gipfel, die Urheber der Ausschreitungen entkämen nicht ihrer Strafe, doch dürfe sich der Staat nicht zu «überzogenen Reaktionen» verleiten lassen.

Katalonien ist in der Frage seiner Unabhängigkeit tief gespalten. Nach einer im Juli veröffentlichten Umfrage der Regionalregierung befürworten 44 Prozent der Bevölkerung eine Abspaltung von Spanien, 48,3 Prozent aber lehnen sie ab. Aber auch viele Unabhängigkeitsgegner beteiligten sich an den Protesten der vergangenen Tage, weil sie die hohen Hafturteile des Obersten Gerichtshofs für ungerecht und politisch motiviert halten.

Unterdessen eröffnete die spanische Justiz Ermittlungen wegen «Terrorverdachts» gegen eine neue Bewegung namens «Demokratischer Tsunami». Nach Angaben eines Justizvertreters liess das Gericht alle Internetauftritte der Bewegung sperren. Nach dem Urteil am Montag hatten rund 10.000 Menschen nach einem Aufruf des «Demokratischen Tsunami» den Zugang zum Flughafen von Barcelona blockiert. 110 Flüge mussten gestrichen werden, mehr als 100 Menschen wurden bei Ausschreitungen verletzt.

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