Erstes Regierungsmitglied in London wegen Cummings-Affäre zurückgetreten
In der Affäre um den britischen Regierungsberater Dominic Cummings gibt es einen ersten Rücktritt: Der für Schottland zuständige Staatsekretär Douglas Ross nahm aus Protest gegen Cummings Verhalten in der Corona-Krise am Dienstag seinen Hut.
Das Wichtigste in Kürze
- Druck auf Top-Berater von Premier Johnson wächst weiter.
Cummings war wegen mutmasslicher Verstösse gegen die Corona-Auflagen schwer unter Druck geraten, lehnt einen Rücktritt bislang aber ab. Mit Ross' Rücktritt dürfte der Druck auf Cummings weiter steigen.
Cummings ist der wichtigste Regierungsberater von Premierminister Boris Johnson. Er hatte trotz Anzeichen einer Corona-Infektion Ende März - dem Höhepunkt der Pandemie in Grossbritannien - seine Londoner Wohnung verlassen und war zusammen mit seiner infizierten Frau zu seinen Eltern ins mehr als 400 Kilometer entfernte Durham im Nordosten Englands gefahren - offenbar um seinen kleinen Sohn zu den Grosseltern zu bringen.
Später soll er noch weitere Male gegen die Ausgangssperre verstossen haben. Als besonders pikant gilt ein Besuch in der Umgebung von Barnard Castle rund 40 Kilometer von seinem Elternhaus entfernt am Geburtstag seiner Frau. Cummings gab an, er habe dort seine Sehkraft testen lassen wollen, die durch das Virus eingeschränkt gewesen sei.
«Die Reaktion auf diese Nachricht zeigt, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung, die sich an die Vorgaben der Regierung gehalten hat, die Interpretation der Regierungshinweise durch Herrn Cummings nicht teilt», schrieb Ross in einer Mitteilung im Kurzbotschaftendienst Twitter, in der er seinen Rücktritt verkündete. Die Erklärungen von Cummings bei dessen Pressekonferenz am Vortag betrachte er mit Sorge. Cummings hatte gesagt, er habe «legal und vernünftig» gehandelt und bedauere nicht, was er getan habe.
«Einwohner in meinem Wahlkreis konnten sich nicht von ihren Angehörigen verabschieden, sie konnten nicht gemeinsam trauern, die Menschen konnten ihre kranken Angehörigen nicht besuchen, weil sie sich an die Empfehlungen der Regierung hielten», erklärte Ross mit Blick auf die Corona-Ausgangsbeschränkungen. «Ich kann ihnen beim besten Willen nicht sagen, dass sie alle falsch lagen und ein Regierungsberater im Recht war.» Downing Street erklärte, Ross' Rücktritt zu bedauern.
Die mutmasslichen Verstösse von Cummings stehen im krassen Gegensatz zur Politik Johnsons, der seit einer eigenen Covid-19-Erkrankung vehement auf die Einhaltung der Corona-Ausgangsbeschränkungen pocht. Dennoch hält Johnson bisher an seinem Topberater fest, der als der Stratege hinter dessen Brexit-Kurs gilt. Laut den britischen Corona-Verhaltensregeln muss sich jeder, der Symptome einer Corona-Infektion hat, in seiner eigenen Wohnung in Quarantäne begeben.
Unterdessen wächst der Druck auf Cummings weiter: Kurz nach Ross' Rücktrittsankündigung reihte sich die Tory-Abgeordnete Harriet Baldwin in eine länger werdende Liste konservativer Abgeordneter ein, die Cummings' Rücktritt forderten. Der bekannte Tory-Politiker Michael Heseltine sagte dem Sender Sky News, «der Mangel an Glaubwürdigkeit» in Cummings' Version der Geschehnisse «schadet der Regierung».
Auch Oppositionspolitiker fordern den Rücktritt des Top-Beraters, noch am Dienstag sollte dazu ein Krisentreffen stattfinden. Die Labour-Partei erklärte, die Regierung sende eine klare Botschaft aus: «Es gibt eine Regel für den engsten Berater von Boris Johnson und eine andere für alle anderen.»
Johnson bezeichnete Cummings' Vorgehen dagegen als «plausibel». Er entschuldigte sich am Montag aber für die «Verwirrung» und die «Wut», die durch die Sache entstanden seien. Der konservative Spitzenpolitiker Michael Gove, dessen Sonderberater Cummings einst war, verteidigte diesen am Dienstag als «Mann von Ehre und Integrität»: Cummings sei «unter Druck gewesen» und habe die Gesundheit seiner Frau und seines Sohnes an erste Stelle gestellt.
Grossbritannien ist von der Corona-Pandemie besonders schwer betroffen. Das nationale Statistikamt erklärte am Dienstag, die Zahl der Toten sei auf mehr als 46.000 gestiegen. Die Regierung bestätigte bislang offiziell knapp 37.000 Tote.