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Finnlands schwieriger Spagat zwischen Russland und der Nato

Keystone-SDA
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Finnland,

Wenn das eigene Zuhause auf satten 1340 Kilometern Länge an einen mächtigen Nachbarn grenzt, dann will man es sich mit diesem nur ungern verscherzen. Dieses Bewusstsein hat Finnlands Verhältnis zu Russland stets geprägt und das nordische Land letztlich bislang auch davon abgehalten, Mitglied in der Nato zu werden. Dann griff Russland die Ukraine an, was einen rapiden Meinungsumschwung unter den Finnen auslöste - und plötzlich steht das nördlichste Land der EU kurz davor, eine Nato-Mitgliedschaft zu beantragen.

Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin. Foto: Kay Nietfeld/dpa - sda - Keystone/dpa/Kay Nietfeld

Das Wichtigste in Kürze

  • Denn wenn ein übermächtiger Nachbar auf einmal zur akuten Gefahr wird, dann muss man handeln.

Die Finnen kennen das aus ihrer eigenen Geschichte: Zweimal kämpften sie im vergangenen Jahrhundert gegen die Russen, erst im Winterkrieg 1939, dann an der Seite Nazideutschlands noch einmal. Mit einem aussergewöhnlichen Spagat schaffte es das Land in der Nachkriegszeit trotzdem, sich sowohl mit Russland als auch mit dem Westen gutzustellen. Ein finnischer Nato-Antrag, der womöglich schon in einigen Tagen kommen könnte, würde diese Ost-West-Balance nun deutlich verschieben. Die so wechselhafte finnisch-russische Geschichte steht somit vor einem neuen, konfliktbeladenen Kapitel.

«Es ist eine komplizierte Geschichte», sagt Henrik Meinander über das finnisch-russische Verhältnis. Der Historiker der Universität Helsinki hat die Geschichte seines Landes mit all ihren Wendepunkten in einem Buch festgehalten. Darin beschreibt er unter anderem, wie Finnland einer «Sowjetisierung» nach dem Zweiten Weltkrieg entgehen konnte und schon Stalin darauf hinarbeitete, dass das Land nicht in den Dunstkreis des Westens und der Nato geriet.

Finnland war lange Zeit Teil des Königreichs Schweden. Dieses Königreich wurde 1808 von Russland angegriffen, worauf die Finnen für mehr als 100 Jahre unter Herrschaft des Russischen Reiches fielen. Für die Russen war das unter anderem wegen der Nähe der südfinnischen Grenze zu ihrer Metropole St. Petersburg wichtig.

Als russisches Grossfürstentum schaffte es Finnland jedoch, weitgehend autonom zu bleiben: Schwedische Gesetze, die Verfassung und auch die westliche Religion galten weiter, die Russen machten allerdings Helsinki statt wie zuvor Turku zur finnischen Hauptstadt. Im Zuge der Oktoberrevolution 1917 erklärte sich Finnland dann für unabhängig.

Das finnisch-russische Verhältnis blieb dennoch kompliziert. Nach einer vorgetäuschten finnischen Provokation am Grenzort Mainila verübte Russland 1939 seinen vorerst letzten militärischen Angriff auf Finnland, wurde aber davon überrascht, wie vehement sich die Finnen im Winterkrieg zur Wehr setzten.

Im Fortsetzungskrieg ging das Land eine ambivalente Waffenbrüderschaft mit Nazideutschland ein, schloss dann aber einen Friedensvertrag mit Moskau, in dessen Zuge es Gebiete abtreten musste. Die finnische Zivilbevölkerung habe zwar ohne Frage unter dem Krieg gelitten, sei im Vergleich zu vielen anderen Ländern aber glimpflich davongekommen, schreibt Meinander. «Finnland wurde verstümmelt und verwundet, blieb aber unabhängig.»

Die finnische Nachkriegszeit prägten dann vor allem der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates und einer neuen Ostpolitik. Mit der Sowjetunion wurde 1948 ein Freundschaftsabkommen geschlossen, das Finnland verpflichtete, dem grossen Nachbarn im Falle eines deutschen Angriffs beizustehen. Gleichzeitig bauten die Finnen wachsende Handelsbeziehungen mit dem Westen auf. Sie feilten somit fleissig an ihrem Profil als neutraler Staat.

Geprägt wurde diese Politik besonders vom langjährigen Präsidenten Urho Kekkonen. Er stand für Kontinuität und Vorhersehbarkeit im Verhältnis zur Sowjetunion. Er war der Ansicht, dass die Chancen für den Ausbau der westlichen Beziehungen umso grösser seien, je besser die Beziehungen zu den Sowjets seien. Kekkonen nannte diesen Spagat zwischen Ost und West gerne «das finnische Paradox» - Kritiker sprachen dagegen abschätzig von einer «Finnlandisierung».

Auch wenn Finnland militärisch bündnisfrei blieb, orientierte es sich später immer weiter Richtung Westen: Deutschlands Wiedervereinigung taugte als Begründung, das Freundschaftsabkommen mit der Sowjetunion aufzukündigen, 1995 wurde Finnland schliesslich in die EU aufgenommen, was das Land viel stärker mit West- und Zentraleuropa verband. Seit längerem ist das nordische Land wie das benachbarte Schweden enger Nato-Partner - bisher aber kein offizielles Mitglied.

Finnlands Geschichte mit Russland habe viele Schichten, resümiert Meinander im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das Verhältnis zum grossen Nachbarn im Osten sei vielmehr von Pragmatismus als von Angst geprägt gewesen, wobei ein Ziel immer zentral gewesen sei: «Die gesamte finnische Identität baut auf der Idee auf, dass wir verhindern wollen, dass Finnland Teil Russlands wird. Es ist entscheidend, dass wir nicht russisch werden wollen.»

Unter Kremlchef Wladimir Putin hat sich das ehemals gute Verhältnis zwischen Russland und Finnland langsam immer weiter verschlechtert, wie der Historiker Kimmo Rentola sagt. Er ist einer der führenden Experten für die finnisch-russischen Beziehungen und rechnet damit, dass ein Beitritt Finnlands zur Nato sicherlich Spannungen erzeugen würde, letztlich aber eine Folge von Putins eigenem Vorgehen wäre.

«Tatsächlich hat Putin quasi selbst entschieden, dass Finnland der Nato beitreten wird», sagt Rentola. Vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine habe sich nie eine Mehrheit unter den Finnen für eine Nato-Mitgliedschaft ausgesprochen. «Der 24. Februar hat das komplett verändert.» Paradox dabei ist, dass Putin Länder wie Finnland und Schweden eigentlich unbedingt von genau einem abhalten wollte: einem Beitritt zur Nato.

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