Johann Strauss – ein Künstler zwischen Harmonien und Dissonanzen
Johann Strauss war Melancholiker, Nichttänzer und gescheiterter Opernkomponist: Er nicht hatte nur Harmonien, sondern auch Dissonanzen im «Hirnkastel».
Mit seinen überschäumenden Melodien tröstete Johann Strauss nicht nur die Menschen, sondern auch sich selbst. Schliesslich hatte er nicht nur Harmonien, sondern auch Dissonanzen im «Hirnkastel», wie er es nannte. Der Walzerkönig war Melancholiker, Nichttänzer und gescheiterter Opernkomponist, der seine Brüder nicht selten demütigte und auf mütterliche Managerinnen angewiesen war.
Das Dirigentengenie inmitten seines Orchesters, stilecht die Geige in der einen und den Taktstock in der anderen Hand, alle Musiker in roten Fräcken und weissen Hosen. So wie in dem berühmten Kunstdruck von Theo Zasche stellt man sich den Walzerkönig vor. Als Winnertyp mit kaiserlichem Backenbart, der da auf dem Podest «Funken sprühend wie eine galvanische Batterie» arbeitet – so schilderte es ein Kritiker nach Johanns Debüt im Jahr 1844.
Holt man den «Schani» aber von jenem Marmorsockel, auf dem sein vergoldetes Denkmal im Wiener Stadtpark steht, dann wird man entdecken, dass es allerlei schräge Töne in seiner Starpersönlichkeit gab. Hochgeschätzten Strauss-Experten wie Thomas Aigner, Eduard Strauss, Norbert Linke und Marcel Prawy gab er immer schon Rätsel auf. Nikolaus Harnoncourt nahm seine Musik jedenfalls so «ernst wie die Matthäuspassion» und erkannte in «all dem Lachen, das diese Musik erzeugen kann, einen grossen Zynismus und eine grosse Traurigkeit».
Eigentlich hätte Johann Strauss, der am 25. Oktober 1895 als Kind von Johann und Anna Strauss zur Welt kam, Beamter werden sollen – so wollte es der damals berühmte Dirigentenvater. Schliesslich war er der amtierende Walzerkönig, der diesen einst verpönten, erotisch-frivolen Tanz salonfähig gemacht hatte.
«Jetzt will der Mistbub, der Johann, auch Walzer schreiben, wo er doch keinen Dunst davon hat – und es doch mir, der ich in meinem Fach der Erste bin, schrecklich Mühe macht ... noch irgendetwas Neues zu bringen!» Berühmt sind diese dem Senior zugeschriebenen Worte. Er versuchte sogar, das Debüt seines neuen Rivalen zu verhindern – vergebens.
Heute wissen wir, dass der Schani die Walzerform des Vaters und die des Komponisten Joseph Lanners übernahm und «die Form erweiterte». Johann Strauss komponierte Konzertmeisterwerke und machte den Walzer zur Popmusik des 19. Jahrhunderts, von «An der schönen blauen Donau» und «Geschichten aus dem Wienerwald» über «Wiener Blut» bis hin zum «Schatz-Walzer» und «Kaiserwalzer».
Was dem Tanzgeiger wirklich weh tat, war die Tatsache, dass seine einzige Oper «Ritter Pásmán» ein Flop war: «(...) habe ich ihn doch nur geschrieben, um zu beweisen, dass man mehr kann als Tanzmusik schreiben». Auch wenn er gerne «ernste» Musik geschrieben hätte, so war er doch ein Kaiser in seinem kleinen Reich.
Richard Wagner sagte über ihn, er sei «der musikalischste Schädel der Gegenwart». Johanns guter Freund Johannes Brahms gestand: «Dieser Mann trieft von Musik!»
Strauss brauchte beim Komponieren Hilfe
Johann war der erste grosse Tourneemusiker, hinter dem ein riesiges Management stand. Man darf sich ihn als popmusikalischen Unterhaltungskünstler vorstellen, der mit seinen Brüdern Eduard und Josef auf Welttourneen ging – samt Groupies. In Russland liebte man ihn. «Electric Strauss», den Elektrischen, nannten ihn die US-Amerikaner. Das war natürlich auch Kalkül. Er wusste, wie man sich gut verkauft und wurde so zum Millionär.
Wenn Johann später verbreiten liess, er habe für die Aufführung des Donauwalzers unter «Böllerschüssen» und hämmernden «Ambossen», begleitet von einem riesigen Chor, 20 Subdirigenten benötigt, so hat er sich einen Spass erlaubt. Der Wiener war zwar ein Hit in den USA, aber er neigte zum Ausschmücken seiner Geschichten.
Beim Komponieren hat er nicht selten fremde Hilfe gebraucht. Die eingangs erwähnte Pose hat er vor dem Spiegel geübt. Die Geschichte mit seinem schwarzen Pudel, der dauernd geschoren werden musste, um den weiblichen Fans ihre Bitten nach Strauss'schen Haarlocken erfüllen zu können, hat sich seine Frau Jetty angeblich als PR-Gag einfallen lassen. Als «Weibervertilger» wurde er vermarktet, aber der Schani war kein Casanova. Im Gegenteil, er konnte nicht einmal tanzen.
Die Musik von Strauss war eine «welttröstende», so empfand es der deutsche Dirigent Bruno Walter. Seinen berühmtesten Walzer «An der schönen blauen Donau» schrieb er 1867 in einer Zeit, als die Donaumonarchie am Boden lag. Es war die ideale Musik: selbstvergessen und eskapistisch.
Geflohen ist Strauss selbst auch gern, war er doch «am glücklichsten in der Einsamkeit seines Studios und engster Häuslichkeit». Das Komponieren fiel ihm leichter bei schlechtem Wetter. Sonnenschein fand er «ekelig». Er hatte nicht nur panische Angst vor dem Tod, was sich darin zeigte, dass er zu keiner Beerdigung ging, er fürchtete sich auch vor Keimen, Bergen und Reisen.
Seine Brüder behandelte er wie Angestellte. Eduard berücksichtigte er ganz bewusst nicht in seinem Testament. Und vielleicht um seinen Bruder Josef zu demütigen, schrieb er seiner Schwägerin Caroline schmuddelige Briefe, oft mit der Frage: «Vögelt dich dein Mann fleissig?» Seine dritte Ehefrau Adele hat es so umschrieben: «Über den Künstler Johann Strauss ist viel geschrieben worden – den Menschen kennen nur wenige. Und doch hat dessen persönliche Wesensart vielleicht mehr als sonst auch die künstlerische bestimmt.»
Keine Kinder trotz dreifacher Ehe
Die Frauen im Leben des Komponisten trugen wesentlich zum Erfolg der «Strauss-Firma» bei. Seine geschäftstüchtige Mutter managte die «Strauss-Fabrik». Strauss' erste Ehefrau, die um sieben Jahre ältere Sängerin Henriette «Jetty Treffz» Chalupetzky, war seine Tourmanagerin, Notenkopistin und Ersatzmutter. Die Mezzosopranistin war es auch, die ihn überredete, sich an der Operette zu versuchen. «Die Fledermaus», «Eine Nacht in Venedig» und «Der Zigeunerbaron» sind bis heute Klassiker des Genres.
Nach dem Tod seines «Jettymendscherls» war es Strauss unmöglich, sein Leben allein zu meistern. Also heiratete der 53-jährige Walzerkönig nur sieben Wochen nach Jettys Tod die 28-jährige Angelika «Lili» Dittrich. Sein «Liliweiberl» wollte, so wird es vermutet, selbst Karriere machen und brannte mit Franz Steiner durch, dem Leiter des Theaters an der Wien.
In der verwitweten Jüdin Adele Strauss fand Johann wieder eine Mutterfigur, die ihn managte – obwohl sie mehr als 30 Jahre jünger war als er. Weil er seiner erzkatholischen Heimat nicht wieder heiraten durfte, konvertierten beide zum Protestantismus, traten aus dem österreichischen Staatsverband aus und wurden Bürger von Sachsen-Coburg.
Berühmt sind seine Worte: «Was thut man nicht alles für ein Weib!» Aber Adele tat auch viel für ihn. Er würde ihr die Tantiemen und Autorenrechte hinterlassen, aber im Gegenzug dafür musste sie ihm versprechen, dass sie nach seinem Tod nicht wieder heiraten würde. Er starb am 3. Juni 1899 an einer Lungenentzündung im Alter von 73 Jahren in ihren Armen. Adele blieb ihm treu und wurde eine würdige Nachlassverwalterin.
Trotz dreifacher Ehe hatte Johann Strauss (Sohn) keine Kinder. Mit sehr grosser Zurückhaltung wird von einigen Strauss-Forschern vermutet, dass er sich schon in jungen Jahren mit einer Geschlechtskrankheit infiziert haben könnte. Aber er hinterliess 15 Operetten, den Entwurf für ein Ballett («Aschenbrödel»), eine Oper, und mehr als 500 Tanzkompositionen, darunter die inoffizielle Nationalhymne Österreichs: Den «Donauwalzer».