Marine Le Pen: Partei könnte sogar von Urteil profitieren
Die Politikerin Marine Le Pen darf nicht zu den Wahlen 2027 antreten. Für ihr Rassemblement National ist der Schuldspruch alles andere als nur negativ.

Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Urteil gegen Le Pen stellt sich die Frage, wie es in Frankreich weitergeht.
- Ein Experte sagt: Für ihre Partei RN könnte sich der Schuldspruch sogar positiv auswirken.
- Ein Nachfolger steht schon bereit – und könnte neue Wählerschichten ansprechen.
Es ist wahrlich ein Knall, der sich am Montag im politischen Frankreich abspielte. Marine Le Pen wurde wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern schuldig gesprochen.
Die Konsequenz: Neben einer Haftstrafe erhält die Rassemblement-National-Politikerin eine Nichtwählbarkeitsstrafe. Damit darf Le Pen nicht bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 antreten.

Sie will gegen den Schuldspruch Berufung einlegen – bis zu einem erneuten Urteil dürfte es aber dauern.
Genau da liegt das Problem für Le Pen: Die Nichtwählbarkeitsstrafe gilt ab sofort und bis zu einem allfälligen anderslautenden Entscheid. Die Sanktion dürfte somit bis nach der Präsidentschaftswahl in Kraft bleiben.
Urteil passt ins Narrativ der «linken Justiz»
Ein schwerer Schlag für die rechte Partei? Nicht zwingend, sagt Frankreich-Experte Gilbert Casasus gegenüber Nau.ch. «Weil die Partei es pflegt, in eine Opferrolle zu schlüpfen.»
«Kurz- und mittelfristig wird der RN versuchen, daraus Profit zu schlagen», sagt er. Es passt nämlich ins bereits zuvor verbreitete Narrativ gegen die «linke Justiz». Le Pen und ihre Partei können sich so als Opfer darstellen, obwohl sie eigentlich die Täter seien.
Dazu kommt, dass man im RN bereits eine personelle Alternative zu Marine Le Pen hat. Nun dürfte Parteichef Jordan Bardella 2027 antreten. «Zunächst wird auch er von diesem Urteil profitieren», sagt der Experte. «Es stellt sich aber die Frage, ob er langfristig die Ausdauer eines politischen Marathonläufers mitbringt.»
Dass Bardella antritt, scheint klar, oder zumindest sehr wahrscheinlich. Ob er dann tatsächlich Präsident wird, ist jedoch eine ganz andere Frage. Dass dieses Szenario eintrifft, würde auch Casasus «nicht blind unterschreiben».
Bardella spricht andere Schichten an als Le Pen
Einerseits sei eine solche Erneuerung des politischen Personals eine Chance, sagt Casasus. Mit Bardella biete sich dem RN die Möglichkeit, neue Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Ein Beispiel, das der Experte nennt: «Er hat Erfolg bei jungen Leuten.»
Dazu kommt, dass Bardella mit seiner Laufbahn eher den Rechtskonservativen nahe steht als Le Pen. «Es ist möglich, dass er dort mehr Stimmen gewinnt», sagt Casasus.
Andererseits hat Le Pen gerade in den sozialen Schichten, die zuvor tendenziell links wählten, gepunktet. Ob Bardella den Erfolg seiner Vorgängerin in diesem Bereich fortführen kann, sei fraglich.
Man könne aufgrund seiner fehlenden Erfahrung noch nicht abschliessend beurteilen, ob er die gleichen politischen Fähigkeiten habe.
«Während Bardella in einigen Teilen der Bevölkerung gewinnen wird, ist mit einer Verschärfung des Konkurrenzkampfes rechts von der Mitte zu rechnen. Deswegen wird es auch zu einer Restrukturierung innerhalb des rechten Spektrums Frankreichs kommen», so das Fazit von Casasus.
Auch ob die erwähnte «Opferrolle» zieht, ist indes fraglich. Denn laut Umfragen nach dem Urteil begrüsst eine Mehrheit der Franzosen den Entscheid gegen Le Pen. Die Frage wird sein, ob es dem RN gelingt, den Schuldspruch als ungerechtfertigt darzustellen.
«RN wird die Le-Pen-Familie überleben»
In jedem Fall könnte mit dem Urteil gegen Marine Le Pen eine Ära zu Ende gehen. «Die französische Politik war lange durch den Namen Le Pen geprägt», so Casasus. Denn vor Marine war bereits ihr kürzlich verstorbener Vater Jean-Marie politisch aktiv. Er gründete den Front National – die Vorgängerpartei des Rassemblement National.
Dass Marine nochmals zurückkommt, sei aktuell nicht absehbar, sagt Casasus. «Politisch tot würde ich noch nicht sagen, aber sehr schwer verletzt.»

Klar ist für den Experten: Selbst wenn die familiäre Ära zu Ende geht, bedeutet das nicht das Ende des Rassemblement National. «Der RN wird die Le-Pen-Familie überleben», so Casasus.
Dafür spricht auch der aktuelle Trend, der nicht nur in Frankreich zu beobachten ist. Rechte Kräfte werden allgemein stärker, das demokratische System ist unter Druck. In diesem «Kampf» zwischen Rechtsstaat und Politik sei das Gerichtsurteil positiv zu werten, sagt Casasus.
Jedoch stelle sich die Frage, wie Frankreich die grossen Herausforderungen nun meistern wird. Ruhiger dürfte es nach dem brisanten Urteil kaum werden. Der RN hat bereits zu frankreichweiten Protesten aufgerufen.
Jordan Bardella nimmt Marine Le Pen in Schutz
Der Schuldspruch löste bereits am Montag zahlreiche Reaktionen aus. International solidarisierten sich rechte Politiker mit der Französin Le Pen.
Die Politikerin selbst beteuerte in einem anschliessenden Interview ihre Unschuld. Zurücktreten will sie nicht.

RN-Chef Jordan Bardella, der jetzt der neue Hoffnungsträger der Partei ist, reagierte ebenfalls empört. Er unterstützte Le Pen offen und sprach angesichts des Urteils von der «Hinrichtung der französischen Demokratie».
Einen internen Machtkampf um die Präsidentschaftskandidatur scheint es also nicht zu geben. «Zauberlehrling» Bardella hatte zuvor bereits das Amt des Parteichefs von Le Pen übernommen.