NRW plant Bundesratsinitiative gegen Billigfleisch
Das Wichtigste in Kürze
- Corona-Ausbrüche in der Branche heizen Debatte um Preise und Werkverträge an .
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung und Verstosses gegen das Infektionsschutzgesetz im Tönnies-Werk Rheda-Wiedenbrück.
«Die gesamte Kette vom Stall bis zum Teller» müsse überprüft werden, sagte Heinen-Esser der «Rheinischen Post». Durch die Bundesratsinitiative sollten im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vorgesehene Ausnahmen bei der Preisgestaltung deutlich erschwert werden.
Der Preisdruck aus dem Lebensmittelhandel wirke sich auf die gesamte Kette aus und damit auch auf die Schlachtbetriebe. Es gebe «haarsträubende Sonderaktionen, bei denen Fleisch deutlich unter seinem Wert verkauft wird», sagte Heinen-Esser. Dies müsse gestoppt werden, denn grundsätzlich sei der Verkauf unter dem Beschaffungspreis bereits untersagt.
In dem Betrieb des Tönnies-Konzerns im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück wurden inzwischen mehr als 730 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet. Rund um den Betrieb befinden sich inzwischen etwa 7000 Menschen in Quarantäne.
Oberstaatsanwalt Martin Temmen sagte dem in Bielefeld erscheinenden «Westfalen-Blatt», das Verfahren richte sich zunächst gegen Unbekannt. Bislang lägen fünf Strafanzeigen vor, die Anlass für das Ermittlungsverfahren gäben. Zum weiteren Vorgehen, insbesondere zu möglichen Durchsuchungsmassnahmen am Konzernsitz, wollte sich Temmen nicht äussern.
Kritiker machen die niedrigen Fleischpreise für schlechte Arbeitsbedingungen mitverantwortlich, welche wiederum die Verbreitung des Coronavirus befördert hätten. «Geschäftsmodell und Infektionsgeschehen hängen zusammen», erklärte Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Die Verantwortung für die Infektionsfälle im Schlachtbetrieb Tönnies liege «bei der Fleischindustrie». «Wer Gewinne einfährt, muss auch Kosten tragen», forderte sie.
Die agrarpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Kirsten Tackmann, erklärte, der Fall Tönnies verdeutliche erneut, «wie hochriskant» die Strukturen in der Lebensmittellieferkette geworden seien. «Wenn nur noch wenige Verarbeitungs- und Handelskonzerne mit dem Streben nach Maximalprofit die Lebensmittelversorgung dominieren, dann sind das Hochrisikostrukturen vom Hof bis auf den Tisch.»
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck forderte in der Funke Mediengruppe bessere Arbeitsbedingungen für Schlachthofmitarbeiter, einen gesetzlichen Stopp für Werkverträge und einen Umbau der EU-Agrarförderung. Daneben müsse es künftig einen Mindestpreis für Fleisch «als untere Schamgrenze» geben.
Der FDP-Politiker Frank Sitta erklärte hingegen, die Debatte um Mindestpreise für Fleisch sei «reine Augenwischerei», die weder den Schlachthofmitarbeitern noch den Tieren etwas bringe. Wichtiger seien «wirksame Kontrollstrukturen».
Das Bundeskabinett hatte wegen der Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in der Fleischindustrie bereits vor vier Wochen neue Auflagen für die Branche auf den Weg gebracht. Vorgesehen ist unter anderem ein Verbot von Werkverträgen, das ab dem 1. Januar 2021 gelten soll. Danach sollen nur Angestellte des eigenen Betriebs Tiere schlachten und zerlegen dürfen.
Die Werkverträge in der Branche gerieten in Verruf, weil dabei Beschäftigte von Subunternehmen häufig zu Niedriglöhnen und mit überlangen Arbeitszeiten eingesetzt werden. Auch die Unterbringung solcher Mitarbeiter in engen Sammelunterkünften steht in der Kritik.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) kritisierte, ein Werkvertragsverbot für eine einzelne Branche sei aus rechtlicher Sicht «äusserst bedenklich». VDMA-Präsident Carl Martin Welcker erklärte, die Verträge seien «nicht der Auslöser für eine Ansteckung mit dem Coronavirus», da Werkvertragsarbeiter wie alle anderen die Hygieneregeln einhalten müssten.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert hingegen ein sofortiges Ende von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft. «Das ganze System ist krank», sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler in der «Rhein-Neckar-Zeitung» (Freitagsausgabe). «Da ist es mit ein paar Reförmchen nicht getan.»