Meinrad Gschwend (Grüne): Stellt Unschuldsvermutung auf den Kopf
Grünen-Fraktionspräsident Meinrad Gschwend spricht über die Stärken und Schwächen des überarbeiteten Polizeigesetzes.

Das Wichtigste in Kürze
- Das St. Galler Polizeigesetz soll modernisiert werden.
- Die Debatte über die konkreten Änderungen dauert bereits Jahre an.
- Grünen-Fraktionspräsident Meinrad Gschwend spricht über die Probleme im Interview.
Der St. Galler Kantonsrat beschäftigt sich bereits seit Anfang 2022 mit der Überarbeitung des Polizeigesetzes. Viele der vorgeschlagenen Änderungen sind völlig unbestritten. Es gibt in der Vorlage aber auch heikle Themen, bei denen es um Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte geht.
Besonders umstritten ist das Thema «Predictive Policing». Damit könnte die Polizei auf Algorithmen basierende Software einsetzen, um «Gefährderprognosen» zu erhalten. Das Ziel: Die Polizei soll eingreifen können, bevor überhaupt eine Straftat geschieht.
Welche Gefahren die vorausschauende Polizeiarbeit birgt und wo die weiteren Knacknüsse das überarbeitete Polizeigesetz liegen, erklärt Kantonsrat Meinrad Gschwend (Grüne) im Interview.
Nau.ch: St. Gallen schneidet im Schweizer Vergleich bei der Kriminalstatistik überdurchschnittlich gut ab. Wieso sollen die Befugnisse der Polizei trotzdem ausgeweitet werden?
Meinrad Gschwend: Es geht darum, saubere rechtliche Grundlagen zu schaffen für ein Bedrohungs- und Risikomanagement. Der Informationsaustausch zwischen Polizei und anderen Behörden soll möglich und klar geregelt sein. Das trägt auch zu einem verbesserten Schutz des Opfers bei.

Nau.ch: In welchen Bereichen orten Sie beim Polizeigesetz Handlungsbedarf?
Gschwend: Beim automatisierten Datenaustausch zwischen den Kantonen. Für die St. Galler Polizei ist es teils einfacher, Daten aus Vorarlberg, wo es über die Schengen-Verträge geregelt ist, zu bekommen als aus einem Nachbarkanton. Das ist definitiv nicht mehr zeitgemäss und muss verbessert werden.
Predictive Policing «heikel und beschneidet die Grundrechte»
Nau.ch: Mit welchen geplanten Änderungen sind Sie in dieser Form nicht einverstanden?
Gschwend: Nicht einverstanden bin ich mit dem XVII. Nachtrag zum Polizeigesetz. Der soll die Grundlage schaffen, dass den Veranstaltern von unbewilligten Demonstrationen die Kosten für den Polizeieinsatz überwälzt werden können. Das ist nicht umsetzbar, wenn es keinen eigentlichen Veranstalter gibt. Oder wenn Leute, die mit der Veranstaltung nichts zu tun haben, einen Polizeieinsatz provozieren. Dann müssten diese und eben nicht der Veranstalter haftbar gemacht werden.

Nau.ch: Wieso wird das «Predictive Policing» derart kontrovers diskutiert?
Gschwend: Die Polizei kann eingreifen allein auf der Annahme, dass eine Person eine Straftattat begehen könnte. Dies allein aufgrund einer Risikoanalyse beziehungsweise aufgrund von algorithmischen Instrumenten. Das ist heikel und beschneidet die Grundrechte des einzelnen Menschen. Andererseits stellt man ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit fest. Doch absolute Sicherheit wird es nie geben.
Nau.ch: Wird der Datenschutz der Betroffenen, insbesondere von sogenannten «Gefährdern», genügend gewahrt?
Gschwend: Es ist davon ausgehen, dass dies aktuell zutrifft. Aber der Datenschutz verlangt eine ständige Aufmerksamkeit. Wichtig ist auch, dass Daten zuverlässig gelöscht werden, beispielsweise wenn sich ein Verdacht als unbegründet erweist.
Nau.ch: Die Polizei soll neu Personen anhalten und kontrollieren dürfen, auch ohne dass ein konkreter Verdacht besteht, dass diese Person ein Delikt begangen hat. Ist das aus Ihrer Sicht notwendig?
Gschwend: Die St. Galler Polizei ist relativ zurückhaltend mit Gefährdern. Das ist gut so. Denn der Staat greift in das Leben ein allein auf der Vermutung, er könnte eine Straftat begehen. Das ist neu und stellt die bisherige Unschuldsvermutung auf den Kopf. Umso wichtiger ist es, dass die Polizei innerhalb klarer Leitplanken und auf sauberer rechtlicher Grundlage operiert.
Zur Person: Meinrad Gschwend (66) ist Kantonsrat und Fraktionspräsident Grüne, Journalist & Umweltberater und wohnt in Altstätten.