Stadt Basel

Mütter in Politik: Neue Regel stärkt Rechte – erhöht aber Druck

Alessandra Paone
Alessandra Paone

Basel,

Seit dem 1. Juli ist die Änderung der Erwerbsordnung in Kraft. Drei Basler Parlamentarierinnen gehen damit unterschiedlich um.

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Zwischen Baby-Betreuung und Budget-Debatte: Sarah Wyss' Pult im Nationalratssaal. - Sarah Wyss

Das Wichtigste in Kürze

  • Im vergangenen Sommer wurde die Erwerbsersatzordnung geändert.
  • Parlamentarierinnen können nun auch im Mutterschaftsurlaub an Sitzungen teilnehmen.
  • Drei Basler Politikerinnen erklären, wie sie mit der neuen Regelung umgehen.

Mutterglück und Politik – das war für Schweizer Parlamentarierinnen ohne Einschränkungen und finanzielle Einbussen bis vor Kurzem nicht möglich.

Die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy nahm nach der Geburt ihrer beiden Töchter in den Jahren 2019 und 2021 während ihres Mutterschaftsurlaubs jeweils an Nationalrats- und Kommissionssitzungen teil und verlor dadurch ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung. Die Co-Präsidentin von Alliance F, dem Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, kämpfte bis vor das Bundesgericht. Dieses stufte die Parlamentsarbeit jedoch als Berufstätigkeit ein.

Céline Amaudruz erging es ähnlich. Die Genfer SVP-Nationalrätin bekam im Juni 2023 eine Tochter und nahm an der Herbstsession teil. Sie war damals Präsidentin der Gesundheitskommission. Es standen wichtige Geschäfte zu den Gesundheitskosten an wie die Prämienentlastungsinitiative der SP oder die Kostenbremse-Initiative der Mitte.

Heute sieht die Situation anders aus. Mit der Änderung der Erwerbsersatzordnung können Parlamentarierinnen seit dem 1. Juli 2024 im Mutterschaftsurlaub an Ratssitzungen auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene teilnehmen, ohne dass ihr Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung erlischt.

Milchfläschchen auf dem Nationalratspult

Sarah Wyss war eine der ersten Parlamentarierinnen, die von der neuen Regelung profitieren konnten. Die Basler SP-Nationalrätin hat im September ihr erstes Kind geboren und im Dezember an der Wintersession teilgenommen.

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«Über mehrere Ecken erfahren»: Sarah Wyss. - Pino Covino

Auf einem Foto, das die Politikerin in den Sozialen Medien postete (Hauptbild), war auf ihrem Pult ein halbleeres Milchfläschchen zu sehen. Während der Budgetdebatte kümmerte sich ihr Vater um das Baby. Immer wieder hielten aber auch Kolleginnen und Kollegen den Kleinen im Arm. Einmal sogar Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider – das Foto ging viral.

Die neue Regelung gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass für die betreffende Sitzung keine Vertretungslösung vorgesehen ist. Die Parlamentarierin muss der Ausgleichskasse eine Bescheinigung der zuständigen Stelle einreichen – als Bestätigung, dass die Stellvertretung nicht möglich war.

Wyss: «Ich hatte das Glück, dass ich eine einfache Geburt hatte und mich schnell erholen konnte»

Demnach dürfen Parlamentarierinnen während des Mutterschaftsurlaubs zwar an Ratssitzungen teilnehmen, aber – mit ganz wenigen Ausnahmen – nicht an Kommissionssitzungen. Wyss ist Präsidentin der einflussreichen Finanzkommission, der bei der Budgetdebatte eine besonders wichtige Rolle zukommt.

Die Basler Nationalrätin hat die Kommissionssitzungen im Mutterschaftsurlaub geleitet. Dies wohl auch aus politischen Überlegungen. Bei einem Stichentscheid kommt in der Abwesenheit des Präsidiums die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident zum Zug.

Diese Person gehört in der Regel einer anderen Partei an und stimmt je nach Geschäft auch anders ab. Wyss' Vize in der Finanzkommission ist Jacques Nicolet von der SVP.

Wyss' Präsenz im Parlament während ihres Mutterschaftsurlaubs hat auch Kritik ausgelöst. «Die direkten Reaktionen waren positiv, die negativen habe ich nur über mehrere Ecken erfahren.» So habe man ihr teilweise vorgeworfen, dass ihr Verhalten Erwartungen an andere Neo-Mütter schüre, erzählt Wyss.

«Ich hatte das Glück, dass ich eine einfache Geburt hatte, mich körperlich schnell erholt habe und Maël ein pflegeleichtes Baby ist. Zudem unterstützt mich meine Familie.» Deshalb habe sie die Session bewältigen können.

Ihr sei aber bewusst, dass dies nicht in jedem Fall möglich sei. Jede Frau solle deshalb frei wählen können, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Für die Sommersession abgemeldet

Auch Samira Marti erwartet im April ihr erstes Kind. Die Baselbieter SP-Nationalrätin hat sich für die Sommersession abgemeldet und steigt nach der Sommerpause wieder ein.

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Für Sommersession abgemeldet: Samira Marti. - OnlineReports.ch / Alessandra Paone

Marti präsidiert zusammen mit Samuel Bendahan die SP-Bundeshausfraktion. Während ihrer Abwesenheit wird der Waadtländer diese alleine führen. Die SP-Spitze hat Erfahrung mit Absenzen.

Als Mattea Meyer 2021 ihr zweites Kind bekam, leitete Cédric Wermuth die Partei. Umgekehrt war Meyer während Wermuths zweimonatiger Auszeit Anfang 2024 alleinige Chefin.

Groelly: «Ich nehme in Kauf, dass meine Stimme im Parlament fehlt»

Doch wie frei können Parlamentarierinnen, die ein Kind bekommen, tatsächlich entscheiden? Anna-Tina Groelly glaubt, dass die Änderung der Erwerbsersatzordnung einen gewissen Druck aufsetzt.

«Früher war klar: Im Mutterschutz ist man nicht im Parlament», sagt die Baselbieter Grünen-Landrätin. Mit der neuen Regelung sei man hingegen versucht, trotzdem an Sitzungen teilzunehmen.

Groelly bekommt demnächst ihr drittes Kind – der Geburtstermin ist Ende Januar. Die Kindergartenlehrerin hat sich für die Zeit des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs im Landrat dispensieren lassen. «So muss ich mich nicht vor jeder Sitzung abmelden», sagt sie.

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«Nimmt den Frauen den Druck»: Anna-Tina Groelly - zVg

Als Mutter zweier Mädchen weiss Groelly, dass die Anfangszeit mit einem Baby «sehr intensiv und vor allem nicht planbar ist». Es bleibe kaum Zeit, Traktanden zu studieren. Und eine «Hüeti» für das Baby zu organisieren, sei eine zusätzliche Belastung. Man darf das Kind nicht in den Landratssaal nehmen.

«Ich habe deshalb beschlossen, es meiner Familie, aber auch mir zuliebe etwas ruhiger zu nehmen. Dafür nehme ich in Kauf, dass meine Stimme im Parlament fehlt.»

Groelly ist Präsidentin der Bildungs-, Kultur- und Sportkommission. Dass Caroline Mall von der SVP sie als Vizepräsidentin während ihrer Abwesenheit vertritt, stört sie nicht. Damit könne sie «gut leben».

Sie sei dankbar, dass Mall die Leitung übernehme, sie werde dieses Amt «mit Sicherheit gewissenhaft» ausführen. Und für ihre Fraktion sei es auch kein Problem. «Sie unterstützt meinen Entscheid.»

Stellvertreter-Lösung im Landrat hängig

Im Kanton Baselland wird seit mehreren Jahren über eine Stellvertreter-Lösung für Landrätinnen und Landräte diskutiert, die für längere Zeit ausfallen. Das Geschäft ist im Parlament immer noch hängig.

Zwei Varianten stehen zur Debatte: Bei der ersten würde befristet jemand nachrücken. Bei der zweiten bestimmt die abwesende Politikerin oder der abwesende Politiker eine Person aus dem Rat, die sie oder ihn vertritt. Mit dem doppelten Stimmrecht würde das stellvertretende Ratsmitglied zum «Super-Parlamentarier».

Sollte es Parlamentarierinnen einfacher gemacht werden, trotz Mutterschaft zu politisieren?

Groelly ist die Stellvertreter-Lösung sympathischer als die Bundeslösung. «Sie nimmt den Frauen den Druck.» Am liebsten aber wäre es ihr, wenn Parlamentarierinnen und Parlamentarier zwischen den beiden Möglichkeiten wählen könnten.

Dies ist aber nicht zulässig: Entscheidet sich der Landrat für eine kantonale Lösung, gelten die Bestimmungen auf Bundesebene nicht mehr.

Die Stellvertreter-Lösung war auch im Bundesparlament ein Thema. Es wurden dazu mehrere Vorstösse eingereicht, zuletzt 2019 von Doris Fiala. Die parlamentarische Initiative der früheren Zürcher FDP-Nationalrätin fand aber keine Mehrheit.

Es ist wahrscheinlich, dass weitere Vorstösse zum Thema folgen. Denn die aktuelle Lösung stärkt zwar die Rechte der Parlamentarierinnen – sie bringt aber neue Probleme mit sich.

***

Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.

Kommentare

User #3962 (nicht angemeldet)

Kein Wunder ist das Resultat, also die Politik, grottenschlecht.

User #3419 (nicht angemeldet)

Entweder Familie oder Politik. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.

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