SP Bern: «Polizeigewalt gegen migrantische Menschen ist Realität»
Chandru Somasundaram (SP) ist unzufrieden mit der Polizeiarbeit in Bern. Er fordert verschiedene Massnahmen, darunter die Wiedereinführung einer Stadtpolizei.
Das Wichtigste in Kürze
- Mehrere Themen der nächsten Sitzung des Berner Stadtrats betreffen die Arbeit der Polizei.
- Im Interview spricht Chandru Somasundaram (SP) über mögliche Massnahmen.
- Laut ihm müsse wieder mehr lokale Kontrolle und Bürgernähe aufgebaut werden.
Am 27. Juni 2024 findet die nächste Sitzung des Berner Stadtrats statt. Viele geplante Traktanden behandeln die Arbeit der Polizei. Beispielsweise wird auch über die Wiedereinführung einer Stadtpolizei diskutiert.
Während Béatrice Wertli (Die Mitte) und Simone Richner (FDP) im Gespräch mit Nau.ch angegeben haben, keine grösseren Änderungen vornehmen zu wollen, zeigte sich Anna Leissing (Grünes Bündnis) unzufriedener mit der Berner Polizei. Im letzten Interview zum Thema äussert sich der SP-Stadtrat Chandru Somasundaram.
Nau.ch: Wie beurteilen Sie die aktuelle Arbeit der Polizei?
Chandru Somasundaram: Die Zentralisierung der Polizeiführung auf Kantonsebene hat in Bern zu einem Verlust an lokaler Kontrolle und Bürgernähe geführt. Es ist von hoher Dringlichkeit, dass die Mitsprache der Stadt und der Bevölkerung bei der Polizeiarbeit gestärkt wird, zum Beispiel durch die Etablierung einer Ombudsstelle. Die wirksamste Massnahme dafür stellt aber die Wiedereinführung der Stadtpolizei dar.
«Studien und Erfahrungsberichte belegen, dass People of Color überproportional häufig kontrolliert werden»
Nau.ch: Der UN-Ausschluss gegen Rassendiskriminierung forderte die Schweiz bereits mehrfach auf, Massnahmen zur Bekämpfung von Racial Profiling zu ergreifen. Ist Racial Profiling Ihrer Meinung nach ein grosses Problem bei der Berner Polizei?
Somasundaram: Racial Profiling ist ein grosses Problem, das auch in Bern vorkommt. Studien und Erfahrungsberichte belegen, dass People of Color überproportional häufig kontrolliert werden. Aber auch Polizeigewalt gegen migrantische Menschen ist leider traurige Realität in Bern.
Letztes Jahr wurden zwei Polizisten vom Regionalgericht Bern schuldig gesprochen, weil sie bei einer Kontrolle einen Mann aus Marokko mit dem Knie im Nacken auf dem Boden fixiert und ihn anschliessend so hart ins Auto geworfen haben, dass er sich am Kopf verletzt hat. Dies untergräbt nicht nur das Vertrauen in die Polizei, sondern verstärkt auch gesellschaftliche Spannungen. Wir müssen dieses Problem aktiv angehen, etwa durch verbesserte Schulungen, Sensibilisierung und Pflichtveranstaltungen für Polizistinnen und Polizisten mit Anti-Rassismus-Expertinnen und -Experten.
«Quittungssystem bei Polizeikontrollen halte ich für einen vielversprechenden Ansatz»
Nau.ch: In einer Motion wird die Einführung eines Quittungssystems bei Polizeikontrollen vorgeschlagen, mit Angaben zu Personalien und dem Kontrollgrund. So sollen Betroffene vor ungerechtfertigten Kontrollen geschützt werden. Befürworten Sie den Vorschlag?
Somasundaram: Ein Quittungssystem bei Polizeikontrollen halte ich für einen vielversprechenden Ansatz. Erfahrungen aus England und Wales zeigen, dass solche Systeme zu einer signifikanten Reduktion ungerechtfertigter Kontrollen führen können.
Es würde nicht nur dem Schutz der Bürgerinnen und Burger dienen, sondern auch wertvolle Daten liefern, um Polizeiarbeit evidenzbasiert zu verbessern. Zudem kann es als Management-Tool für Vorgesetzte dienen, um festzustellen, wo Polizistinnen und Polizisten möglicherweise ihre Befugnisse nicht richtig anwenden. Ich bin überzeugt, dass ein Pilotprojekt in Bern sinnvoll wäre.
Nau.ch: Auch Polizistinnen und Polizisten sind oft von Gewalt betroffen. Wie können diese besser geschützt werden?
Somasundaram: Hier sollten wir nicht primär auf Repression setzen, sondern auf Prävention und Deeskalation. Eine bessere Aus- und Weiterbildung in Konfliktmanagement und interkultureller Kompetenz kann dazu beitragen, gefährliche Situationen zu entschärfen. Auch eine stärkere Einbindung der Polizei in die Gemeinschaft durch mehr Fusspatrouillen und Quartierpolizei kann helfen, Spannungen abzubauen.
«Diversifizierung im Polizeikorps notwendig»
Nau.ch: Braucht es sonstige Massnahmen zur Verbesserung der Polizeiarbeit in Bern?
Somasundaram: Besonders wichtig wäre die Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle. Eine solche Stelle würde es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten niederschwellig und unparteiisch prüfen zu lassen. Dies würde nicht nur das Vertrauen in die Polizei stärken, sondern auch den Beamtinnen und Beamten selbst mehr Rechtssicherheit geben.
Hier muss der Kanton vorwärtsmachen. Neben der oben erwähnten Weiterbildung im Konfliktmanagement wäre auch eine Diversifizierung im Polizeikorps notwendig. So sollten auch Menschen ohne Schweizer Pass die Möglichkeit erhalten, in den Polizeidienst einzutreten. Das würde die gesellschaftliche Vielfalt besser widerspiegeln sowie den Dialog zwischen Polizei und Bevölkerung vereinfachen.
Zur Person: Chandru Somasundaram (32) ist Stadtrat und Vizepräsident der SP Stadt Bern. Er wohnt in Bern und arbeitet als Historiker.