Flicks klare Botschaften vor heikler WM-Mission
Die Lust auf WM-Fussball ist in der deutschen Mannschaft weiterhin gross. Aber das Auftaktspiel gegen Japan steht nach dem «One Love»-Eklat unter neuen Vorzeichen. Es herrscht ein Reizklima.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Reizklima um die «One Love»-Binde waren Bundestrainer Hansi Flick und Anführer Joshua Kimmich bemüht, in ruhigem Tonfall deutlich Position zu beziehen und den Fokus auf ihre Fussball-Mission in Katar zu lenken.
Der Bundestrainer und seine 26 WM-Spieler, von denen Leroy Sané zumindest zum Turnierstart ausfällt, müssen bei der umstrittenen Weltmeisterschaft im Emirat einen «Spagat schaffen», der sie wie nie zuvor fordert.
Sportlichen Erfolg haben, möglichst sofort am Mittwoch (14.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Japan, und zugleich um ihre gesellschaftspolitische Reputation auch ohne das angekündigte Zeichen mit der Spielführerbinde kämpfen. Flick berichtete am Dienstagabend angesichts des FIFA-Verbots für die «Eine Liebe»-Binde am Arm von Manuel Neuer von einem «unzufriedenen» und «geschockten» DFB-Team.
«Ich finde es schade, dass man nicht mehr für Menschenrechte gerade stehen darf», sagte er unmissverständlich zum Verbot. Die gewaltige Empörung und das Unverständnis in der Heimat blendet er möglichst aus. «Ich fokussiere mich auf das, wofür ich da bin: Fussball.»
Kimmich: «Wir alle brennen»
Auch Kimmich positionierte sich klar in der offiziellen FIFA-Pressekonferenz. «Ich will mich schon auf eine WM freuen dürfen. Wir alle brennen. Wir alle wollen gegen Japan gewinnen. Wir alle können nichts dafür, dass die WM hier stattfindet», sagte der 27-Jährige.
Er zeigte sich «verwundert» vom öffentlichen Aufruhr um die Entscheidung des DFB und anderer europäischer Verbände, sich dem FIFA-Diktat beugten. «Ich hatte das Gefühl, dass vor ein paar Wochen die One-Love-Binde noch madig geredet wurde. Jetzt ist sie doch ein starkes Zeichen.» Eines, das im Chalifa International Stadium aber nicht sichtbar sein wird.
Vor dem Aufbruch ins Spieltagshotel in Katars Hauptstadt hatte das Nationalteam noch in der Abgeschiedenheit des Trainingszentrums in Al-Shamal trainiert. Manuel Neuer spulte dabei im schwarzen Langarm-Shirt seine vor unzähligen Fussballspielen eingeübten Torwart-Rituale ab, aufmerksam beobachtet vom Bundestrainer. Flick stand am Mittelkreis und hielt seine flache Hand vor die Stirn, um im hellen Sonnenschein seinem Kapitän besser zusehen zu können. Von einer «super-guten» Abschlusseinheit sprach Flick, der bei Fragen zur Aufstellung wortkarg reagierte, bis auf die gesetzten Führungskräfte Neuer und Kimmich.
«Dass Leroy ausfällt, ist richtig bitter»
Der starke, sieben Spieler umfassende Bayern-Block ist ohne Sané gesprengt. Der 26 Jahre alte Linksaussen hat Knieprobleme, die offensichtlich keine Bagatell-Blessur sind. Flick wirkte besorgt: «Leroy ist ein Unterschiedsspieler. Er kann ein Spiel alleine drehen.» Es bestehe aber Hoffnung, dass er zum zweiten Gruppenspiel gegen Spanien fit werde. «Dass Leroy ausfällt, ist richtig bitter. Er war in sehr guter Form», sagte auch Kimmich. Der 27-Jährige sprach von einer «riesigen Motivation» in der Mannschaft nach dem historischen WM-Vorrunden-Aus 2018 in Russland. «Wir wissen, dass das nix war bei der letzten WM.» Jetzt könne man es besser machen: «Wir mussten viereinhalb Jahre darauf warten.»
Was plant Flick gegen Japan? Diese Frage steht seit der Ankunft des DFB-Trosses in Katar im Raum. Flick zog sich komplett zurück. Vier Tage wurde in der roten DFB-Burg in Al-Shamal im Verborgenen trainiert. Rund um die Uhr galt Flicks Fokus vor seinem ersten Turnier als verantwortlicher Bundestrainer alleine der Mannschaft und dem kniffligen Start gegen die mit Bundesligaspielern wie dem Frankfurter Daichi Kamada gespickten Japaner, der die weitere Turnierrichtung gleich aufzeigen dürfte. Ein Unentschieden oder gar eine Niederlage würde die Situation in der Gruppe vor dem Spanien-Spiel sofort zuspitzen.
«All-in-Mentalität» gefordert
«Es ist eine grosse Aufgabe, die wir vor uns haben», sagte Flick. Das erste Spiel, es war meist wegweisend für den deutschen Turnierverlauf. Das «Mindset», wie Youngster Musiala sagte, also die Denkweise, sei innerhalb des Teams ganz darauf ausgerichtet, «dass wir den Titel gewinnen können». Flick glaubt, dafür die richtige Gruppe nominiert zu haben, mit den passenden fussballerischen Stärken und Charakteren. Mit Neuer, Antonio Rüdiger, Kimmich und Thomas Müller als Achse, mit ein paar jungen Wilden und dem spät berufenen Torjäger-Joker Niclas Füllkrug.
Flick verriet am Dienstagabend nicht, wie er mit WM-Veteran Müller verfahren will. Der Angreifer hatte wochenlang beim FC Bayern wegen diverser körperlicher Probleme pausiert. Führt er die deutsche Offensive trotzdem gleich wieder an, womöglich sogar ganz vorne als Sturmspitze? Die Eindrücke in der Vorbereitung waren anscheinend überzeugend. «Thomas ist wirklich eine Option. Im Training hat er seine Sache gut gemacht», sagte Flick.
Sanés Ausfall zwingt ihn vorne zum Umdenken und Umstellen. Serge Gnabry nach links? Jonas Hofmann rein? Oder Musiala aus dem Zentrum auf den Flügel verschieben? Gibt es womöglich einen Auftakt-Coup mit Rückkehrer Mario Götze, der die Sané-Leerstelle in der bei Eintracht Frankfurt gezeigten Topverfassung in seinem ersten Länderspiel seit fünf Jahren womöglich wirkungsvoll ausfüllen könnte? Der Finalheld von Rio 2016 ist laut Bundestrainer «topfit».
Um Fitness, um Bereitschaft, um Flicks immer wieder eingeforderte «All-in-Mentalität» geht es gegen Japan. In einem Spiel, über dem allerdings für viele Fans daheim längst viel mehr als «nur» der lange Schatten der verbotenen «One Love»-Binde liegt.