Boll holt Gold in Minsk - Olympia-Quali perfekt
2000 in Sydney nahm Timo Boll schon an Olympia teil, nächstes Jahr ist der Tischtennisprofi wieder dabei. Bei den Europaspielen gelingt ihm die Qualifikation. Eine Teamkameradin, ein Schütze, ein Ringer und die Kanuten verbessern die Ausbeute bei dem «fetten Event».
«Der Sieg fühlt sich ein bisschen komisch an, eher falsch», sagte er.
Wegen einer beim Warmmachen erlittenen Oberschenkelverhärtung, die bei ihm «Alarmstufe Rot» auslöste, hatte er seinen Stil im Finale umgestellt und Gegner Jonathan Groth mit unorthodoxem Spiel geärgert. So etwas macht Boll, der faire Sportsmann, nicht gern. Die Goldmedaille nach dem 4:2-Erfolg im Finale gegen den Dänen nahm Boll als hübsche Dreingabe mit. Viel wichtiger war die Olympia-Qualifikation, die er am Morgen mit dem 4:1-Halbfinalerfolg gegen den Kroaten Tomislav Pucur perfekt gemacht hatte.
«Höchstwahrscheinlich» wird Tokio 2020 das letzte Topereignis in der zwei Jahrzehnte währenden Karriere des jetzt 38-Jährigen, wie er sagte. «Aber ich weiss es noch nicht genau.» Der Gedanke an das Ende der Laufbahn «macht mir Angst», gestand er im «Zeit-Magazin». «Ich habe keine Vorstellung davon, wie ein Leben ohne Tischtennis aussehen kann.»
Nicht nur die Abteilung Tischtennis, aus der auch die im Finale der Portugiesin Yu Fu unterlegene Han Ying das Tokio-Ticket buchte, kommt in Minsk in Fahrt. «Sportlich wird's jetzt ein bisschen erfolgreicher», stellte Delegationsleiterin Uschi Schmitz fest. Am Morgen verbesserten der Zweier-Kajak Max Hoff/Jacob Schopf mit Gold und der dreimalige Olympiasieger Sebastian Brendel mit Bronze im Einer-Canadier die Bilanz des deutschen Teams. Am Nachmittag gewann Sportschütze Oliver Geis den Wettbewerb mit der Schnellfeuerpistole. Freistil-Ringer Ahmed Dudarov (bis 86 kg) erkämpfte Rang drei.
Die Boxer Sharafa Raman (bis 56 kg) und Nelvie Tiafack (über 91 kg) sowie Nadine Apetz (bis 69 kg) zogen ins Halbfinale ein und haben damit Bronze bereits sicher. Weltmeisterin Ornella Wahner (bis 57 kg) scheiterte überraschend bei ihrem ersten Turnierauftritt. Die Leichtathleten erreichten im neuen Teamwettbewerb als Dritte der Vorschlussrunde das Finale am Freitag.
Bis zum Olympia-Start in der japanischen Hauptstadt in gut einem Jahr (24. Juli bis 9. August) will Boll «gut ökonomisieren, so dass ich fit bleibe». Eine geschickte Wettkampfplanung und dosiertes Training bestimmen für ihn die kommenden 13 Monate. «Der Spass wird mir sicher nicht abhanden kommen», versprach der für Borussia Düsseldorf startende Linkshänder. «Spielerisch und vom Know-how her wird nicht mehr viel passieren, nach oben wie nach unten.»
Das Wichtigste in Kürze
- Timo Boll schaute ernst ins Publikum, bevor er bei den Europaspielen in Minsk am Mittwoch aufs Treppchen stieg.
Boll betonte im «Zeit-Magazin», wie wichtig es sei, den richtigen Moment zum Aufhören zu finden. Kürzlich habe er eine Dokumentation über Ex-Tennisprofi Boris Becker gesehen. «Es hat mich sehr erschreckt, in welch schlechtem körperlichen Zustand er am Ende seiner aktiven Laufbahn war», sagte Boll. «Die Vorstellung, meine Karriere als Invalide zu beenden, ist ein Alptraum. Ich möchte auch danach noch sportlich aktiv sein, mit meiner Tochter Fahrrad fahren, Tennis oder Fussball spielen.»
Gleich nach dem Einzelfinale war er in Gedanken schon beim am Donnerstag beginnenden Teamwettbewerb: «Da müssen wir an unsere Grenzen gehen.» Sollte Deutschland auch dort Gold holen, hätte auch der im Achtelfinale an Groth gescheiterte Dimitrij Ovtcharov seinen Platz im Olympia-Flieger sicher.
Bolls frühzeitige Qualifikation kommt dem Deutschen Olympischen Sportbund zupass. Denn der hatte die Teilnahme an den sportpolitisch höchst umstrittenen Europaspielen im autokratisch geführten Weissrussland auch mit den vergleichsweise einfachen Zugang nach Tokio begründet - und dabei insbesondere Boll häufig genannt.
Für Kanu-Olympiasieger Hoff, der geschwächt durch einen Magen-Darm-Infekt ins Rennen auf der Regattabahn Zaslawl ging, sind die Europaspiele «ein fettes Event» und «nicht nur einfach so eine Europameisterschaft». Sein Partner Schopf betonte allerdings, dass der Fokus für die Kanuten auf der WM Ende August im ungarischen Szeged liege: «Das hier war ein Schnupperereignis zur Vorbereitung.»
Schütze Geis brauchte ein paar Serien, um im Finale den Rhythmus zu finden, und er seine Erfahrung ausspielen konnte. «Der Druck war schon gross. Denn wir hatten insgesamt als deutsche Mannschaft noch nicht so viele Medaillen geholt», sagte der 28-jährige Hesse.