Ilja Kaenzig: «Waren wie Junkies - abhängig von der Droge TV-Geld»

Mischi Wettstein
Mischi Wettstein

Deutschland,

Das Coronavirus macht auch vor der 2. Bundesliga nicht halt. Ilja Kaenzig, Geschäftsführer des VfL Bochum, erzählt von der misslichen Lage.

Ilja Kaenzig VfL Bochum
Ilja Kaenzig ist Geschäftsführer des VfL Bochum. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der deutsche Fussball steht angesichts der Corona-Krise derzeit völlig still.
  • Ilja Kaenzig, Geschäftsführer des VfL Bochum, erzählt gegenüber Nau.ch.

Nau.ch: Ilja Kaenzig. Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind sie bei ihrer Familie in der Schweiz, oder halten Sie als «Kapitän» des VfL Bochum die Stellung?

Ilja Kaenzig: Danke, mir geht es gut und wir hatten bisher – glücklicherweise – noch keinen Fall im Klub. Die Geschäftsleitung ist auf der Kommandobrücke, unsere Tage sind lang. Es gilt jetzt, kurzfristig alle Themen in Griff zu bekommen, viel zu kommunizieren und die Planung für die Zukunft anzugehen.

Coronavirus VfL Bochum
Ilja Kaenzig (rechts) zur Zeit als CEO bei YB. Heute ist er beim VfL Bochum tätig. - Keystone

Nau.ch: In der «Sportschau» vom Samstag sagten Sie, dass «dieses Drumherum im Fussball reduziert wird». Was meinen Sie damit?

Ilja Kaenzig: Es geht um den Erhalt der Klubs, sie sind Institutionen. Ohne sie wäre das Leben vieler Menschen sehr viel ärmer. Fussball ist ein Volkssport. Wir waren aber drauf und dran, daraus eine Unterhaltungsshow zu machen; «Let me entertain you» ist nicht Fussball!

Es ging zuletzt immer mehr um Coiffeurbesuche von Spielern im Privatjet, Rekordablösen und Klubs, die andere Klubs kauften. Für Unwichtiges wird jetzt weniger Geld vorhanden sein. «Fertig lustig» im wahrsten Sinne des Wortes!

«Wir waren Junkies, abhängig von der Droge Fernsehgeld»

Nau.ch: Sie sagten, dass die Faszination Fussball ungebrochen sei. Wie verändert die Corona-Krise den aktuellen Fussball?

Ilja Kaenzig: Für die Fussball-Industrie entsteht ja erstmal ein gewaltiger wirtschaftlicher Schaden. Es wird eine oder mehrere Übergangssaisons geben, in denen sich die Klubs darauf einstellen müssen. Danach werden wir alle anders haushalten.

Wir waren wie Junkies: Abhängig von der Droge Fernsehgeld. Und dieses floss direkt in die Spielerlöhne, so hat sich alles hochgeschaukelt. Und wenn es dann ein Loch gab, hat man halt einen Spieler verkauft. Das ist vorbei – wir werden erstmal sehr demütige Budgets sehen!

VfL Bochum
Kaenzigs VfL Bochum spielt in der 2. Bundesliga. - Keystone

Nau.ch: Wie lange kann der VfL Bochum in der aktuellen Situation ohne Zuschauer und TV-Gelder überleben?

Ilja Kaenzig: Die Frage stellt sich allen Klubs weltweit. Es gilt jetzt diese Saison liquiditätsmässig zu überstehen, irgendwann wird wieder gespielt werden. Und das Produkt wird nicht schlecht – im Gegenteil: Die Sehnsucht danach wird immer grösser. Also geht es primär darum, die Einnahmeausfälle zu überbrücken – Das schafft der Fussball!

«Den Schaden für die Menschen gering halten»

Nau.ch: Wie wirkt sich die neue Situation auf die Transfers der Zukunft aus?

Ilja Kaenzig: Der Transfermarkt wird kurzfristig erstmal kollabieren. Viele Ablösen basierten auf dem Prinzip, dass jemand später noch mehr zahlen wird. Und weniger auf dem, was ein Spieler tatsächlich zur Klubentwicklung beiträgt. Der Transfermarkt kühlt ab, das ist nicht schlimm.

Wenn ein Klub bisher nur dank Spielertransfers überlebt hat, dann wird das zukünftig schwierig. Geschäftsmodelle müssen angepasst werden. Es hiess zuletzt: «30 Millionen sind das neue Ablösefrei.» Jetzt gilt wieder die Logik: «Ablösefrei ist das neue Ablösefrei.»

VfL Bochum Kaenzig
Ilja Kaenzig vom VfL Bochum rechnet damit, dass sich der Transfermarkt abkühlen wird. Das gilt wohl auch für heissgehandelte Spieler wie Erling Haaland (links) und Neymar (rechts). - Keystone

Nau.ch: Ist eine Planung für die neue Saison überhaupt möglich – wie plant der VfL Bochum?

Ilja Kaenzig: Grösste Pflicht ist zunächst, den Schaden für die Menschen gering zu halten. Ohne unsere teilweise sehr langjährigen Mitarbeiter wäre der Klub nur eine Hülle. Projekte werden ad acta gelegt werden müssen, das ist klar. Aber als bodenständiger Klub wird uns der Fokus noch mehr auf das Wesentliche nicht sonderlich schwer fallen.

«Hoffen beim VfL Bochum, dass bald wieder gespielt wird»

Nau.ch: Wie kann man sich Ihren aktuellen Arbeitstag vorstellen – sitzen Sie alleine im Büro und niemand ruft an?

Ilja Kaenzig: Alleine nicht, sondern zusammen mit der Geschäftsleitung und dem Medienchef. Dazu gibt es noch eine Notbesetzung wie die IT. Oder die Greenkeeper, die zu den Plätzen schauen – der Rest ist zu Hause. Aber die Telefone laufen heiss.

Unsere Stärke war zuletzt die Kommunikation mit den Stakeholdern – ob Fans, Medien, Sponsoren, Politiker oder Gremien. Diese werden wir auch in der Krise transparent informieren. An der Vorbereitung dieser «Offensive» arbeiten wir beim VfL Bochum gerade.

VfL Bochum
Wann wird im Stadion des VfL Bochum wieder gespielt? - vflbochum.de

Nau.ch: Es gibt allerlei Theorien, wann wieder Fussball gespielt wird. Was glauben Sie, rollt der Ball wieder?

Ilja Kaenzig: Das entscheiden nicht wir. Aber wie alle hoffen wir, so rasch wie möglich.

Rechnen Sie mit einer Wiederaufnahme des Spielbetriebs?

Nau.ch: Was halten Sie von Geisterspielen?

Ilja Kaenzig: Es gilt, die Saison zu beenden, und wenn dies mittels Spielen ohne Zuschauer geschieht. Dafür müssen die behördlichen sowie gesundheitlichen Bedingungen natürlich erfüllt sein.

Nau.ch: Es gibt Projekte, welche ganze Mannschaften isolieren, damit diese wieder Trainings und Fussballspiele austragen können. Ist sowas für den VfL Bochum denkbar?

Ilja Kaenzig: Spiele ohne Zuschauer könnten vielleicht nur so stattfinden, wenn alle Mannschaften in eine sogenannte Kohorten-Quarantäne gehen. Vielleicht müssen wir am Schluss alle zwei Tage spielen, dann wäre das Team sowieso in einer Art Dauer-Trainingslager.

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