Leverkusen-Trainer Gerardo Seoane im grossen Interview
Gerardo Seoane (43) ist mit Leverkusen auf Kurs. Nau.ch hat mit dem Luzerner über seinen neuen Arbeitgeber und das Meisterrennen in der Super League gesprochen.
Das Wichtigste in Kürze
- Seit Sommer 2021 steht Gerardo Seoane bei Bayer Leverkusen als Trainer an der Seitenlinie.
- Der ehemalige YB-Coach befindet sich mit seinem neuen Club derzeit im Hoch.
- Nau.ch hat mit dem 43-Jährigen ein langes Interview durchgeführt.
Ex-YB-Trainer Gerardo Seoane (43) mischt mit Bayer Leverkusen die Bundesliga auf. Nach zuletzt einem Remis und anschliessend vier Siegen in Serie grüsst die «Werkself» von Rang drei. Es läuft. Sein Team ist auf Champions-League-Kurs.
Nau.ch: Gerardo Seoane, es läuft wie geschmiert. Wie geht es Ihnen?
Gerardo Seoane: Es geht mir und allen, die mitgekommen sind, gut. Mit meiner Partnerin und meinem Kleinen fühle ich mich hier in der Region ausgesprochen wohl. Und auch meinem Assistenten Patrick Schnarwiler gefällt es in Deutschland.
Wir beide haben einen hervorragend organisierten Verein vorgefunden, mit guten Strukturen und Leuten mit viel Erfahrung. Beispielsweise in der Führung mit Rudi Völler, Simon Rolfes und einem CEO Fernando Carro, der sehr ambitioniert ist. Ich bin sehr dankbar für diese tolle Herausforderung. Auch, weil wir eine tolle und extrem spannende Mannschaft haben.
Nau.ch: Wie gross war die Umstellung auf die Bundesliga?
Gerardo Seoane: Klar, es ist alles ein bisschen grösser, numerisch natürlich. Jede Position ist mehrfach besetzt. Das gilt für den sportlichen Bereich, aber auch für die gesamte Organisation. Medienabteilung, Marketing, Personalabteilung, Greenkeeping oder auch der soziale Bereich CSR – da sind schon überall ein paar Leute mehr involviert.
Aber trotzdem ist Bayer 04 ein familiärer Verein. Wir haben eine sehr gute Infrastruktur und haben kurze Wege. Das sind ausgezeichnete Bedingungen zum Arbeiten.
Nau.ch: Was ist der grösste Unterschied zur Super League?
Gerardo Seoane: Es gibt natürlich einen grossen Unterschied, das ist der Modus. In der Schweiz spielt man viermal gegeneinander, hier nur zweimal. Das verändert das ganze natürlich, vom ersten zum zweiten Match ist eine lange Zeitspanne, da kann sich viel ändern.
Die finanziellen Möglichkeiten der Clubs sind hier natürlich grösser als in der Schweiz. In der Breite und in der Spitze gibt es die Möglichkeit, mit mehr finanziellen Mitteln zu schaffen. Das wirkt sich in der Qualität aus. Auch in der Grösse der Trainer-Staffs mit Video-Analysten und der Scouting-Abteilung.
Nau.ch: Hatten Sie zu Beginn mit Vorurteilen zu kämpfen, weil Sie aus der «kleinen Schweiz» kommen?
Gerardo Seoane: Nein, überhaupt nicht. Hier haben einige Leute tolle Vorarbeit geleistet, sowohl im Trainer-Business als auch auf Seiten der Spieler. Es ist bekannt, dass in der Schweiz top gearbeitet wird, es gab schon einige gute Schweizer Trainer hier. Lucien Favre war in diesem Kontext in der letzten Zeit wohl der Grösste, aber es gab auch immer wieder andere erfolgreiche Schweizer Trainer. Aktuell zum Beispiel Urs Fischer bei Union Berlin. Da waren und sind also in der Bundesliga viele gute Botschafter für den Schweizer Fussball.
Nau.ch: Woran mussten Sie sich in Deutschland zuerst gewöhnen?
Gerardo Seoane: Es gab eigentlich nicht allzu viele Dinge, an die ich mich gewöhnen musste. Eine sprachliche Barriere ist ja glücklicherweise überhaupt nicht da. Die grösste Umgewöhnung war daher sicherlich die Grösse des Clubs. Hinzu kommen die Dimension und die Wichtigkeit des Fussballs in allen sozialen Schichten. Fussball ist hier in Deutschland Sportart Nummer eins, das merkt man auch in der Berichterstattung.
Nau.ch: Wie gefällt es Ihnen in Leverkusen? Oder sind Sie eher in Köln anzutreffen? Bekanntheit mit dem «Kölsch» haben Sie ja bestimmt schon gemacht.
Gerardo Seoane: Ich wohne zwischen Leverkusen und Köln, diese beiden Städte gehen ja praktisch ineinander über. Ich kenne inzwischen beide gut, auch Düsseldorf durfte ich schon kennenlernen. Dort trinkt man natürlich «Alt»-Bier, aber im Rest des Rheinlandes ist das «Kölsch» eigentlich das Erste, das man hier kennenlernt. Die Region ist offen und gesellig, daher war das schon früh Teil der Integrationsarbeit. (lacht)
Nau.ch: Wie lebt es sich in Deutschland und wie kommen Sie mit dem Essen klar?
Gerardo Seoane: Das ist kein Problem, die Leute sind direkt und geradeaus, aber immer mit dem nötigen Respekt und Anstand. Ich hatte bisher keine schlechten Erlebnisse, im Gegenteil. Man spürt diese Begeisterung für den Fussball – bei den Kindern und in der Fan-Gemeinde. Zum Beispiel, wenn wir ab und zu einen Staff-Abend machen im Restaurant. Hier wird wirklich gut gegessen, es gibt eigentlich alles –regionale Küche, internationale Küche ... Wir geniessen es aber auch, dass wir im Club einen eigenen Koch haben, der Frühstück und Mittagessen zubereitet. Das ist eine grosse Unterstützung, nicht nur für die Spieler, sondern auch für den Staff.
Nau.ch: Was fehlt Ihnen aus der Schweiz am meisten?
Gerardo Seoane: Die Berge, auch, wenn ich nicht der grösste Kletterer oder Skifahrer bin. Das Panorama hier ist schon überschaubar, im wahrsten Sinne des Wortes. Extrem flach. Wenn ich ab und zu in der Schweiz bin, ist das natürlich das Erste, was auffällt. Natürlich vermisse ich auch die Familie und die Freunde, die in der Schweiz leben.
Nau.ch: Was müssen Sie bei Leverkusen anders machen als bei YB?
Gerardo Seoane: Mehr Sprachen gebrauchen, bei YB ist man mit Französisch und Deutsch gut gefahren. Hier haben wir noch mehr Englisch und Spanisch sprechende Spieler. Was den Trainingsprozess angeht, ist sicherlich die Einbeziehung des Staffs hier noch eine andere. Wir haben die Möglichkeit, mit Video- und Datenanalysten zu arbeiten, die intensiv in den Prozess integriert werden.
Nau.ch: Fühlen Sie sich unter Druck, um mit Leverkusen Erfolg zu haben und die Champions-League-Quali zu schaffen?
Gerardo Seoane: Ich würde nicht Druck sagen, sondern Motivation. Ich spüre eine grosse Motivation im ganzen Club, alle sind total ambitioniert. Das ist für mich ein positiver Faktor und kein Druck. Es treibt einen an, alles zu geben.
Nau.ch: In der Meisterschaft sieht es gut aus, sie liegen auf Rang drei. Ist das das höchste der Gefühle?
Gerardo Seoane: Die Tabelle ist eine Momentaufnahme. Sicher nicht zweitrangig und ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Aber auch die Entwicklung der Mannschaft war in den letzten Wochen positiv. Darauf kommt es zuerst an, darauf erst gründet sich letztlich der Erfolg. Wir haben viele junge Spieler, die in den vergangenen Wochen und Monaten einen grossen Schritt nach vorne gemacht haben, aber auch das Potenzial besitzen, sich noch weiterzuentwickeln.
Die Bundesliga ist ein hartes Geschäft, weil die Vergangenheit zeigt, dass jeder jeden schlagen kann. Daher kann man sich nie in Sicherheit wiegen. Wir versuchen, das Maximum herauszuholen. Wir wissen aber, dass Bayern und Dortmund nicht nur tabellarisch, sondern auch vom Potenzial her eine Stufe vor uns sind.
Nau.ch: Wie intensiv verfolgen Sie die Super League? Sind Sie von Leader FCZ überrascht? Schafft es YB, die Zürcher noch einzuholen?
Gerardo Seoane: Wir verfolgen die Liga natürlich. Nicht nur ich, auch meine Assistenztrainer. Wenn wir im Hotel sind, haben wir immer auch wieder die Möglichkeit, die Spiele zu schauen. Bisher habe ich viele YB-Spiele gesehen. Der FCZ spielt bis jetzt eine sensationelle Saison und holt das Maximum heraus.
Die Frage wird sein, ob sie das so durchziehen können. Ich bin davon überzeugt, dass YB das Meisterrennen noch einmal ganz eng machen wird. Sie haben in diesem Jahr gegen viele Widerstände zu kämpfen, das hat sie stark gemacht. Es sind jetzt zehn Punkte, das ist viel. Aber durch die vielen Direktbegegnungen ist es immer noch möglich, dass sowohl YB als auch Basel noch einmal herankommen.
Nau.ch: Schafft es der FCL, die Klasse zu halten?
Gerardo Seoane: Bei Luzern glaube ich, dass sie den Ligaerhalt über die Barrage schaffen. Sie haben im Winter sowohl durch den neuen Trainer als auch durch Transfers neuen Schwung erhalten.