So lief der Fussball-Lockdown während der Spanischen Grippe 1918
Eine unterbrochene Fussballmeisterschaft – das gab es schon in der Saison 1918/19. Wie die Spanische Grippe vor hundert Jahren den Schweizer Fussball lahmlegte.
Das Wichtigste in Kürze
- Schon vor etwas mehr als hundert Jahren gab es einen Lockdown im Schweizer Fussball.
- Während fünf Monaten konnte 1918 nicht gespielt werden.
- Grund war die Spanische Grippe, die in Europa Millionen von Menschen das Leben kostete.
Im November 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, kommt alles zusammen: soziale Unruhen, Lebensmittelmangel, der Landesstreik – und die Spanische Grippe. Diese erreicht Mitte November ihren traurigen Höhepunkt. In der Schweiz sterben insgesamt über 24‘000 Menschen, zwei von drei Schweizerinnen und Schweizern erkranken.
Zu den ersten Toten gehören der Internationale Robert Fischer (Brühl St. Gallen) und Servette-Meistergoalie René Perrenoud. An Fussball ist nicht mehr zu denken. Zumal es auch damals Versammlungsverbote gibt und die SBB ihren Betrieb reduzieren. Am Sonntag beispielsweise wird nicht gefahren. Und das ist in der Regel der Matchtag. Die Folge sind zahlreiche abgesagte Spiele.
Kartoffeln wichtiger als Sport
Nach fünf Monaten Zwangspause geht’s am 11. Januar 1919 langsam wieder los. Anstatt mit dem Zug reisen die Teams von nun an mit Lastwagen, Taxis, Velos, Fuhrwerken und – in unteren Ligen – per Fussmarsch an. Ein zusätzliches Problem bringt die behördlich verordnete Anbauschlacht: Jeder fruchtbare Quadratmeter wird bepflanzt, vor allem mit Kartoffeln. Das gilt auch für Fussballplätze.
Der FC Biel muss deshalb alle seine Spiele auswärts austragen, und der FC Young Boys (der erst später BSC heisst) muss seinen Sportplatz Spitalacker in zwei Richtungen verlassen: YB weicht einerseits auf die Kasernenwiese im Nordquartier aus, wo die Tore selbst aufgestellt werden müssen.
Andererseits teilt sich YB den Kirchenfeld-Platz mit dem Stadtrivalen FC Bern – gegen eine Jahresmiete von 1400 Franken. Der Berner Gemeinderat lässt sich von einem YB-Rückkommen nicht erweichen: Kartoffeln seien jetzt wichtiger als der Sport.
Saison wird «obligatorisch»
Im April 1919 greift der Verband, der kurz zuvor mit den Leichtathleten fusioniert hat (!), zur Urabstimmung: Mit 101:43 Stimmen wird die Saison 18/19 für «obligatorisch» erklärt.
Sie soll also trotz Verzögerungen, Ausfällen und ohne SBB fertig gespielt werden. Nur die Auf- und Abstiegsspiele sind gestrichen. Am 25.Mai ist Stichtag. Drei Gruppenmeister werden erkoren, obwohl noch nicht alle Spiele gespielt sind. Bei YB zum Beispiel fehlen vier Partien…
Am 22. Juni 1919 kommt es zum Final im Basler Landhof. Meister wird der FC Etoile La Chaux-de-Fonds nach einem 2:1-Sieg über Winterthur-Veltheim. Die Tore vor 3000 Zuschauern schiessen die Gebrüder Wyss I und Wyss II.
In den Final schaffen es die Neuenburger nur, weil sie in der regionalen Gruppenphase den favorisierten Stadtrivalen FC La Chaux-de-Fonds wegen dessen sieben Pandemie-Absenzen mit 11:0 abservieren.
Übrigens: Auch Länderspiele gibt es von Mai 1918 bis Februar 1920 keine. Trotz dieser fast zweijährigen Zwangspause holt die Schweizer Nati 1924 Olympia-Silber und den inoffiziellen EM-Titel.
Quellen: Paul Ruoff: Beitrag zur schweizerischen Fussball-Geschichte (1953). Jacques Ducret: Das goldene Buch des Schweizer Fussballs (1994). Charles Beuret: 100 Jahre BSC Young Boys (1998).