Titelkämpfe in Braunschweig: «Leichtathletik-Welt» schaut zu
Die 120. deutschen Leichtathletik-Meisterschaften werden in die deutsche Sport-Geschichte eingehen: Wegen der Corona-Pandemie dürfen keine Zuschauer ins Braunschweiger Stadion. Und dennoch ist die Szene voller Vorfreude.
Das Wichtigste in Kürze
- Für die olympische Kernsportart ist es ein Novum, der Saisonhöhepunkt - und ein international wichtiges Signal in Corona-Zeiten: Die Sprinter, Läufer, Werfer und Springer tragen am Wochenende ihre deutschen Meisterschaften aus.
«Nicht nur Deutschland wird auf Braunschweig schauen, sondern die ganze Leichtathletik-Welt», prophezeit Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), vor den Titelkämpfen im Eintracht-Stadion ohne Zuschauer.
Der Spitzenfunktionär verwies auf die abgesagten Meisterschaften in den USA. Allerdings tragen zehn weitere europäische Verbände ihre Titelkämpfe am Wochenende ebenfalls aus - zum Teil in veränderten Formaten. In Frankreich und Grossbritannien sollen die Meisterschaften später stattfinden.
Mit einem 45-seitigen Hygienekonzept ermöglichte der DLV die Zustimmung der Behörden für die ungewöhnliche Veranstaltung. Nach einigem Hin und Her wurden auch die Läufe ins Programm gehoben. Bisher fanden in er Leichtathletik nur kleinere Meetings statt oder aufwendig inszenierte Fernduelle.
Fast 500 Teilnehmer treten in 34 Wettbewerben an. Zusammen mit Betreuern, Kampfrichtern, Organisatoren, Ordnern und Medienvertretern dürfen nicht mehr als 999 Personen gleichzeitig im Stadion sein. Die Sportler können nur in genau vorgegebenen Timeslots die Arena und den Aufwärmplatz betreten. Das Programm wurde deshalb in vier Blöcke aufgeteilt.
Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth sieht die Geistermeisterschaften auch als eine Botschaft an die Bevölkerung: «Wir brauchen solche Höhepunkte», sagte er, sie seien in einer schwierigen Zeit, in der viele Veranstaltungen weggebrochen sind, ein Ventil sowohl für Sportler als auch für die Menschen in der Stadt und vor den Bildschirmen. Die ARD überträgt am Samstag (17.00 bis 19.50 Uhr), das ZDF am Sonntag (17.10 bis 18.50 Uhr).
Nach den Fussballern und den Basketballern trägt eine dritte grosse Sportart in Deutschlands Titelkämpfe während der Pandemie aus. Der DLV verhindert damit auch massive finanzielle Einbussen. «Der Verlust wäre im hohen sechsstelligen Bereich gewesen», sagte Kessing. Auch wegen der Sponsoren sei die Meisterschaft sehr wichtig. «Wir hätten sonst Vertragsgespräche führen müssen, die nicht ganz angenehm gewesen wären», betonte der Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen (Württemberg).
Für die Leichtathletik ist es nach der Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio und der Europameisterschaften in Paris eine grosse Chance, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und Wettkämpfe auf hohem Niveau zu bestreiten. Zwar hätten die Athleten an ihren Standorten und Stützpunkten unterschiedliche Bedingungen für die Vorbereitung gehabt, «aber die Felder sind dennoch ansprechend und versprechen einiges an Spannung», sagte Bundestrainerin Annett Stein.
Namhafteste Teilnehmerin ist Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo, die sich erstmals in dieser ungewöhnlichen Saison in die Sandgrube wagt - allerdings nach nur zwei Monaten Training und mit verkürztem Anlauf. «Dieses Jahr sind die deutschen Meisterschaften für mich der wichtigste Wettkampf, und das ist einfach ein tolles Gefühl», sagte die deutsche «Sportlerin des Jahres» von der LG Kurpfalz.
«Es ist natürlich schade, dass keine Fans im Stadion sind. Aber andererseits ist doch schön, dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, die Meisterschaften auszutragen. Ich nehme das total ernst», erklärte der zweifache Kugelstoss-Weltmeister David Storl aus Leipzig.
Einige Asse verzichten aber auch auf einen Start oder sind verletzt: Die Olympiasieger Thomas Röhler (Speer) und Christoph Harting (Diskus) fehlen ebenso wie Topläuferin Konstanze Klosterhalfen, Sprinterin Gina Lückenkemper und Christina Schwanitz, die WM-Dritte im Kugelstossen. Niklas Kaul, der Zehnkampf-Weltmeister und «Sportler des Jahres», kann nach einer Ellbogen-Operation nicht einmal in einer Einzeldisziplin für die Leichtathletik in schwierigen Zeiten werben.