Mit der Vision seiner Mutter: Quarterback-Phänomen Jackson
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Geheimnis des spektakulären Erfolgs von Lamar Jackson liegt in den ungewöhnlichen Trainingseinheiten seiner Mutter.
Als der heutige Star-Quarterback gerade acht Jahre alt war, spielte Felicia Jones mit ihrem Sohn hinter dem Haus Football, brachte diesen immer wieder hart zu Boden. Langsam lernte Jackson, den Tackles der Ex-Basketballerin auszuweichen - und ist bereits in seinem zweiten Profijahr mit seiner Beweglichkeit die grösste Attraktion der NFL.
Mit den Baltimore Ravens als bestem Team der regulären Saison trifft der 23-Jährige im Playoff-Viertelfinale in der Nacht zu Sonntag (2.15 Uhr MEZ/ProSieben und DAZN) auf die Tennessee Titans und peilt nicht weniger als den grossen Triumph an. «Ich denke nicht mal darüber nach», sagte Jackson auf die Frage, ob diese Saison ohne Finalteilnahme eine Enttäuschung sei. «Wir haben so ein grossartiges Jahr. Wir wollen in den Super Bowl, deshalb habe ich gar nichts anderes im Kopf.»
Jacksons Geschichte ist ein typisch amerikanisches Sportmärchen. Als er acht Jahre ist, sterben sein Vater bei einem Verkehrsunfall und seine Grossmutter am selben Tag. Die Mutter zieht ihn gross, erkennt und fördert früh das sportliche Talent ihres Sohns. «Sie hatte eine Vision für meine Footballkarriere, bevor ich überhaupt dran gedacht habe», schrieb er 2016 in einem offenen Brief.
Inzwischen können selbst die besten Verteidiger Jackson nur mit grosser Mühe bremsen. Vor seiner zweiten NFL-Saison arbeitete er an seinen Pässen, warf 36 Touchdowns und erlaubte sich dabei nur sechs Würfe, die die gegnerische Verteidigung abfing. Das besondere Talent von Jackson ist, dass er auch kaum zu stoppen ist, wenn er den Football selbst trägt. Mit 1206 erlaufenen Yards erzielte Jackson diese Spielzeit einen Quarterback-Rekord für die NFL-Geschichte. Zum Vergleich: Beispielsweise Altmeister Tom Brady lief - auch aufgrund seines anderen Spielstils - in 20 Jahren für ganze 1037 Yards.
Das Talent sorgte aber früh für Zweifel an Jackson als Spielmacher. Er kam als College-Phänomen in die NFL, wurde jedoch von fragenden Stimmen begleitet, ob er aufgrund seiner Schnelligkeit nicht besser als Ballfänger oder Läufer geeignet wäre. Als er das erste Mal fünf Touchdowns in einem NFL-Spiel geworfen hatte, kommentierte Jackson dies deshalb sarkastisch: «Nicht schlecht für einen Running Back.»
Die Nachrichtenagentur AP sah durch die Nörgler ein altbekanntes rassistisches Narrativ im Football in den USA bestätigt: Dass schwarzen Quarterbacks ihr Erfolg wegen überlegener athletischer Fähigkeiten zugeschrieben werde, während weisse Quarterbacks für ihre angebliche mentale Stärke und Arbeitsethik gelobt werden. «Er will unbedingt gewinnen», charakterisiert Ravens-Quarterbackcoach James Urban seinen Profi. «Wenn du eine grossartige Einstellung hast, du talentiert bist und hart daran arbeitest, siehst du die Ergebnisse.»
In der NFL-Draft 2018 wurde Jackson hinter vier weissen Quarterbacks erst zum Ende der ersten Runde ausgewählt - widerlegte bislang aber alle Zweifler und steht für einen Trend. Der 22-Jährige dürfte nach Cam Newton und Patrick Mahomes als dritter Quarterback mit afro-amerikanischen Wurzeln in den vergangenen fünf Jahren zum wertvollsten Spieler gewählt werden.
Das Internetportal «The Undefeated» deklarierte diese Saison bereits als «Das Jahr des schwarzen Quarterbacks». Neben Jackson sind auch Mahomes (Kansas City Chiefs), Russell Wilson (Seattle Seahawks) und Deshaun Watson (Houston Texans) mit ihren Teams noch in den Playoffs. «Die rassistischen Stereotype hängen an lebenserhaltenden Massnahmen», kommentierte AP. «Es ist an der Zeit, sie endgültig zu beenden.»
Neben den Fähigkeiten von Jackson vertrauen die Ravens auch im Team auf das beste Laufspiel der Geschichte, verbesserten mit 3296 Yards eine 41 Jahre alte NFL-Bestmarke. Schon in seiner Rookie-Saison hatte Jackson die Ravens in die Playoffs geführt, war aber vor einem Jahr in der ersten Runde mit 17:23 an den Los Angeles Chargers gescheitert. «Dieses Spiel ist vorbei», sagte er nun. «Ich habe es wirklich gehasst. Ich will darüber nicht mehr reden. Ich kann es nicht erwarten, diese Woche zu spielen.» Dann soll alles wieder so laufen wie vor 15 Jahren hinter einem Haus in Florida.