Expertin: US-Demokratie hängt «am seidenen Faden»

Der Oberste Gerichtshof hat über die Immunität des US-Präsidenten geurteilt. Das Urteil stelle eine «mächtige antidemokratische Bewegung» dar, so eine Expertin.

Der amerikanische Ex-Präsident und aktuelle Präsidentschaftskandidat Donald Trump geniesst seit dem Urteil absolute Immunität für all seine offiziellen Amtshandlungen. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Supreme Court urteilte am Montag über den Immunitäts-Umfang ehemaliger US-Präsidenten.
  • Neu besitzen Ex-Präsidenten der USA eine absolute Immunität für offizielle Amtshandlungen.
  • Juraprofessorin Kimberly Wehle ordnet ein: «Dieses Urteil ist radikal.»

Mit 6:3 Stimmen erliess der Oberste Gerichtshof der USA letzten Montag folgendes Urteil: Ehemalige Präsidenten der USA geniessen für offizielle Amtshandlungen eine absolute Immunität.

Dieses Urteil beeinflusst nicht nur die Strafverfolgung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, sondern auch die Macht von amtierenden US-Präsidenten. Die liberale Richterin Sonia Sotomayor kritisierte das Urteil als «geladene Waffe», welches «einen König über dem Gesetz» erschaffe.

Auch Juraprofessorin Kimberly Wehle warnt vor der aktuellen Situation der USA. «Dieses Urteil ist radikal», äussert sich die Professorin gegenüber dem «Spiegel».

US-Präsidenten erhalten «Lizenz zum Töten»

Denn: Das Urteil sei eine Lizenz, um im Oval Office – dem US-amerikanischen Büro des Präsidenten – Verbrechen zu begehen. Neu könnte ein amtierender US-Präsident etwa der Armee befehlen, einen politischen Gegner zu ermorden – und wäre gänzlich immun.

«Solange der Präsident in seiner offiziellen Funktion agiert, ist er strafrechtlich geschützt», hält Wehle gegenüber der Zeitung fest. Wenn der Präsident als Oberbefehlshaber sein Militär einsetzen wolle, um jemanden zu töten, so sei dies eine offizielle Handlung. Dabei sei es egal, ob es sich um Osama bin Laden oder um einen innenpolitischen Konkurrenten handle.

Der Supreme Court habe explizit klargestellt, dass das Motiv des Präsidenten irrelevant sei. Auch sei es für allfällige Kläger gar verfassungswidrig, dieses Motiv überhaupt zu hinterfragen.

«Die amerikanische Demokratie hängt am seidenen Faden»

«Das hier könnte das Ende sein», meint Wehle über die Entscheide des Supreme Court. Neu schütze das Gesetz nämlich auch präsidiale Begnadigungen. So habe ein US-Präsident nun auch etwa die Möglichkeit, seine Getreuen mit illegalen Taten zu beauftragen. Diese seien zwar nicht immun, doch könne der Präsident sie «ja einfach kraft seines Amtes begnadigen».

Es sei keineswegs überzogen, die USA mit einer Diktatur zu vergleichen. Kimberly Wehle hält fest: «Die amerikanische Demokratie hängt am seidenen Faden.»

Umfrage

Meinst du, die USA sind bald keine Demokratie mehr?

Ja.
50%
Nein.
18%
Sind sie bereits nicht mehr.
31%

Der «Spiegel» hakt nach: «Und wie kann die amerikanische Demokratie überleben?»

«Indem wir uns nicht mehr darüber belügen, womit wir es zu tun haben», meint Wehle. Und zwar mit einer «mächtigen antidemokratischen Bewegung». Das Urteil des Supreme Court sei eindeutig: «Ja, ihr verliert vor euren Augen eure Freiheiten. Ja, die Regierung wird von einer faschistischen Minderheit, den Trump-Republikanern, kooptiert.»

Ganz gleich, wie laut die gleichzeitige Debatte um Biden und sein Alter sei. Der Lärm dürfe nicht übertönen, wie dramatisch dieses Urteil sei.